„Mißgeschicke sind wie Messer; sie können uns nützen oder schaden, je nachdem, ob sie sie beim Griff oder bei der Klinge nehmen.“ (James Russell Lowell)
Im Themengebiet der Selbstrefektion hatte ich schon unter dem Label „Mit allen Situationen besser zurechtkommen durch Feintuning im Denken“ etwas Wichtiges geschrieben. Heute soll es um etwas gehen, was wir alle kennen: DIE PECHSTRÄHNE, also die Aufreihung unglücklicher Zufälle, von denen ein Mensch in kurzer Zeit nacheinander betroffen wird. Sie löst viele verschiedene Formen von Erschöpfungszuständen aus, von denen das Gefühl, ihr ohnmächtig ausgeliefert zu sein, überwiegt. Manche Betroffene erzählen sogar, dass sie den EIndruck haben, dass sie das Schiksal mobben würde.
Jeder kennt dieses Szenario: Am Donnerstag lief alles noch bestens. Man war gut gelaunt und schaute zufrieden auf das kommende Wochenende. Dann verletzt sich am Freitag ein lieber Mensch (m/w/d), mit dem man am Samstag etwas unternehmen wollte, am Knie. Im Keller bemerkt man, dass dort Mäuse ihr Unwesen getrieben haben, ein Brief kommt an, in dem man an eine dringende Zahlung erinnert wird, im Bad geben gleich zwei Halogenbirnchen ihren Geist auf, der Baumarktmitarbeiter informiert, dass man solche Leuchtmittel nicht mehr führt und empfiehlt eine LED-Alternative, doch die ist zu groß für das Gehäuse und passt nicht. Dann platzt überraschend ein Termin auf der Arbeit, auf den Sie sich lange vorbereitet haben. Auf dem Heinweg wird man fast von einem Kamikaze-Radfahrer umgenagelt und am Samstagmorgen ist plötzlich der eigene Webspace gesperrt, weil sich darauf gleich ei Dutzend schadhafte Dateien eingenistet haben. Sie wollen dies beheben, rufen die Hotline aber „außerhalb der Geschäftszeiten“ an und werden auf Montag vertröstet.
Sechs Situationen, mit denen Sie nicht rechnen konnten, die Ihr Leben ein Stück weit aus der Bahn werfen und entweder Abwarten, Wut oder Handeln erfordern: eine richtige Pechsträhne eben. Jede Sache für sich betrachtet ist im Grunde banales Zeug, Dinge die eben mal passieren, kaum der Rede wert und nichts wirklich Lebensnotwendiges. Erst durch die Häufung entsteht eine Art Unglückszeit und aus dem betroffenen mensch wird ein paranoides Nervenbündel mit dem Hang zu Verschörungstheorien. Doch was ist zu tun? Zuhause einschließen und sich in einem abgedunkelten Raum zurückziehen. Nichts mehr unternehmen, was schiefgehen kann. So lange warten, bis das Pech nicht mehr an einem kleben beibt?
Zuerst einmal zum Wortursprung: Woher kommt der Begriff der Pechsträhne? Dass wir Pech mit Unglück gleichsetzten ist altbekannt. Seit in Urzeiten nutzten Menschen Pech, beispielsweise um Pfeilspitzen festzukleben. Da er aus Holz gewonnen wird ist es sozusagen der älteste Kunststoff überhaupt. Im Mittelalter kam die Redensart azuf, dass jemand „Pech hatte“, wenn ihm bei der Erstürmung von Burgen, Festungen oder Stadtmauern durch schmale Schlitze im Gemäuer, den sogenannte Pechnasen, zur Verteidigung siedend heißes Pech entgegen kam. Angreifer, der solches abbekam, erlitt starke Verletzungen und hatte man sah ihm meist sein weiteres Leben lang an, dass er „Pech gehabt“ hatte. Ebenso blieb das Pech oft lange an ihm kleben. So entstanden die Redensarten, zu denen sich auch der Pechvogel gesellte, der einem Fass mit Pech zu nahe kam.
Deshalb assoziieren wir mit dem Pech-Begriff Unglück und eine Aufreihung davon wird zu einer Pechsträhne. Doch ist diese Pechsträhne keineswegs „ein Ding“ sondern eine Abfolge von Einzelsegmenten, wobei man, wäre sie nur halb so lang gewesen, vielleicht sogar nur von einem „schlechten Tag“ ausgegangen wäre. Jede Sache für sich betrachtet, wartet geradezu nur darauf, einzeln betrachtet und angegangen zu werden. Stellen Sie sich ihr und finden sie für sich eine Lösung, die sie halbwegs zufreidne stellt. Dann löst sich die vermeintliche Pechsträhne schnell in Luft auf, denn man hat sie in ihre Einzelsegmente zerlegt und – ganz wichtig – man agiert anstatt nur zu reagieren.
Die neue Tour mit dem Lieblingsmensch muss eben warten, bis das Knie wieder fit ist, Mausefallen sorgen für Ordnung im Kellerbereich und schaffen ein gutes Gefühl („Hab ich Euch endlich erwischt!“), die gesuchten Halogebirnchen gibt es beim Discounter gleich im 12er-Pack, die dringliche Zahlung ist erledigt, der neue Besprechungstermin steht fest, der Radfahrer war eben ein Arschloch, das es nicht explizit auf Sie abgesehen hatte, der eigene Webspace wird am Montag wieder frei sein und der Ärger wird spätestens dann Vergangenheit sein. War sonst noch was oder ist nun alles wieder gut?
Fazit: Auch eine Unglücksphase gehört zum Leben mit dazu und nach den Pechtagen kommen andere, die mit hoher Wahrscheinlichkeit besser sein werden. Denn wir wissen nun, dass wir uns unglückliche Umstände akribisch merken, die Abwesenheit davon – wir müssen hier ja nicht unbedingt von Glück reden … aber man könnte, wenn man wollte – in aller Regel für selbstverständlich halten und folglich kaum bemerknen. Unser Masterplan ist, dass das Leben an jedem einzelnen Tag halbwegs reibungslos funktioniert: beim Sport, am Arbeitsplatz, im Urlaub. Die Abwesenheit von Pech ist sozusagen die „Werkseinstellung“ in unserem Kopf. Wenn Sie mal in Ruhe darüber nachdenken, werden Sie feststellen, wie geradezu sensationell viel für Sie in unserer hochkomplexen Welt täglich bestens läuft.
Geschrieben und © 2020, ergänzt 2023, von Rainer W. Sauer für CBQ Verwaltungstraining & BRAIN.EVENTS