SCHALTER IM KOPF? (6) | GEHIRN-GENIAL Lernen lernen (2/2)

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Oft reicht es, als Teilnehmer oder Teilnehmerin an Seminaren zum gehirn-genialen Lernen für sich die beiden Kern-Fragen zu nutzen, die auch Vera  F. Birkenbihl gerne gestellt hat: 1.) „Wenn man kontinuierlich Wissen zu einem Thema abspeichern könnte, wie würde eine solche Lernkurve im Normalfall aussehen? Bitte zeichnen!“ Und alle zeichnen eine Kurve, die linear nach oben führt. 2.) „Und nun zeichnen Sie mal Ihre persönliche Lernkurve.“ Diese persönlichen Kurven haben dann bei jedem der TeilnehmerInnen individuell irgendwo einen starken Knick, denn Lernen ist im Grunde nichts anderes, als Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis (= unserem RAM-Arbeitsspeicher im Gehirn) möglichst optimal ins Langzeitgedächtnis (= den ROM in unserem Oberstübchen) abzuspeichern und das klappt nur, wenn man es richtig angeht.

Dass diese Kurven in der Regel stets einen Knick bekommen, hat wenige aber dafür umso wichtigere Gründe:

– Desinteresse: Bestimmte Information werden als für das Lernergebnis / unser Leben / die aktuelle Situation als nicht relevant qualifiziert.

– ungute Gefühle: Die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Thema oder einen besonderen Punkt zu lenken, verursacht Unwohlsein, weshalb nahezu alles vermieden wird, was damit zusammenhängt.

– mangelnde Motivation: Das jetzt zu lernen, ist vermeintlich ein zu hoher Aufwand, bringt nichts oder das entsprechende Wissen wird als unwichtig angesehen.

Gerade die „unguten Gefühle“ sollten im Zusammenhang mit den Lernen nicht unterschätzt werden. Denn ein Lern-ERLEBNIS mit damit verbundenen guten  Gefühlen, führt bei Lernenden zu einer Ausschüttung des Neurotramsnitters Dopamin – und zwar, so hat es VFB bewiesen, nicht nur beim Lernen selbst, sondern auch bei jedem Abrufen des erlernten Wissens. Der Effekt ist ein innerliches Grinsen, gepaart mit einem Wohlgefühl. Birkenbihl führte ihre seminarteilnehmenden Lehrkräfte auch zum größtmöglichen Lehrerfolg in nur zwei Stufen (… während SA5 Stufenanwendungen bei mir immer umfangreicher sind):

STUFE A) dem Wecken des Interesses durch Neugier: Sie stellte Fragen und ließ die TeilnehmerInnen selbst Vermutungen anstellen, um so das Lerngebiet auf möglichst vielen Wegen zu entdecken und ihre „SchülerInnen“ jeglichen Altes neugierig auf mehr zu machen. Außerdem nehmen sie allen die Angst davor, Fehler zu machen, indem sie vieles erlauben, was mit dem Lehrthema zu tun hat.

STUFE B) die Motivation hochhalten: Fortschrittliche Lehrkräfte machen es SchülerInnen im Unterricht einfach, proaktiv zu werden. Sie präsentieren geeignetes Lernmaterial und fasziniernede Denk- und 3D-Modelle, um die Kindern und Jugendlichen / jungen Erwachsenen im wahrsten Sinne des Wortes Dinge BEGREIFEN zu lassen.

Leider haben aber gerade jene Lehrkräfte, die sich darum bemühen, Verbesserungen im Schulsystem einzuführen, oft große Probleme an der „Lernfront“, wie Vera F. Birkenbihl die Sache benannte. Sie kämpfen den gleichen Kampf, den VFB bis zu ihrem Tode geführt hat: gegen ein veraltetes System, in dem viele Dinge „nicht erlaubt“ sind, gegen konservative Kollegen (… seien sie auch noch so jung …), die ihre Lenmethoden diffamieren, manchmal auch gegen Eltern, die sich gegen „falsche“ Lernmethoden zur Wehr setzen. Trotzdem wissen sie, dass sie sich auf dem „richtigen“ Weg im Sinne der Wünsche ihrer SchülerInnen befinden, Wissen abzuspeichern, da der klassische Weg über „pauken“ oder „büffeln“ kontraproduktiv ist. Natürlich kann das funktionieren – Millionen SchülerInnen sind der mehr oder weniger (frohe) Beweis dafür. Auf der anderen Seite ist der klassische Weg weder „geil“, noch macht er Spaß und hat schon viele Lernende davon abgehalten, sich auf den Weg zu machen.

Aber: Wenn die Lehrkraft – aus Sicht der SchülerInnen also „unser“ Lehrer bzw. „unsere“ Lehrerin – an der Tafel etwas schreibt oder zeichnet, wenn er oder sie ein Video vorführt und so weiter, dann fliegen dem Gehirn stetig kleine Infos zu. Diese wollen an schon vorhandenes Wissen andocken, beispielsweise wie Raumkapseln bei der Internationalen Weltraumstation ISS. Finden sie geeignete Stellen zum Andocken, dann ergänzen sie das bereits vorhandene Wissen. Klappt das Andocken nicht, etwa weil die Information nicht kompatibel ist, dann fliegt sie sozusagen „bei dem einen  Ohr rein und bei dem anderen wieder raus“. Ich nenne dies deshalb auch den „Andock-Effekt“.

Ganz entscheidend für das Andocken ist das bereits abrufbare Vorwissen. Wer z.B. nicht weiß, wie Fußball funktioniert und welche Regeln hier gelten, dem fällt es schwer eine Verlängerung oder ein Elfmeterschießen zu verstehen und an der richtigen Andockstelle in unserem Denkapparat abzuspeichern. Natürlich werden Viele jetzt sagen, dass Fußball doch kein Thema ist: das kennnt man eben. Stimmt. Aber was ist mit American Football? Kennen Sie beispielsweise den Spielzug „Fumble“? Wenn ja, dann ahnen Sie automatisch, was ein „Incomplete Fumble“ ist, also wenn der Fumble nicht gesichert wird, sondern „das Ei“ frei bleibt bis zur nächsten Spielunterbrechung. Haben Sie vom American Football aber keine Ahnung, dann bewegen Sie sich mit der Information über einen „Incomplete Fumble“ („… what? …“) ganz bestimmt in einem luftleeren Raum.

Für viele meiner Coachees oder SeminarteilnehmerInnen ist es übrigens verblüffend, dass sich eine Lernkurve nicht nur linear nach oben entwickeln sondern sogar exponentiell ansteigen kann. Wie bei dem Gleichnis mit dem Reiskorn und dem Schachbrett, dessen Anzahl sich auf jedem Feld verdoppelt, bis sich auf dem letzten Feld des Schachbretts die schier unglaubliche Zahl von mehr als 9 Trillionen Reiskörnern ergibt (… mathematisch ausgedrückt 263 …), fängt kontinuierlicher Lern-Input durch Freunde und Spaß am Lernen stets mit einem ganz kleinen Cluster im eigenen Wissensspeicher an, an den immer wieder neue Informations-Raumschiffe andocken können. Und desto umfangreicher das bereits vorhandene Wissen wird, umso mehr neues Wissen hat Raum anzudocken und aus dem Cluster entsteht in ihrem Kosmos im eigenen Kopf irgendwann ein Wissen-Planet.

Das bedeutet, dass uns zu Anfang jeder Wissenszugewinn unendlich mühsam erscheint. Doch bleibt man „am Ball“, wenn man kontinuierlich, lebenslang beim Lernen bleibt. So wird man Expertin oder Experte auf (s)einem Gebiet und lernt gelegentlich an einem einzigen Tag mehr zu einem Gebiet hinzu, als nach der klassischen Methode in vielen Wochen.

Geschrieben und © 2013 sowie ergänzt bis 2021 von Rainer W. Sauer für CBQ Verwaltungstraining & BRAIN.EVENTS

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