ABSCHIED VON NEMO | Zum Tode von Vangelis Papathanassiou

„Man versucht Musik immer in verschiedene Stile, Ethnien usw. zu unterteilen. Für mich ist Musik Vollkommenheit, daher gibt es keine Grenzen oder andere große Unterteilungen.“ (Evangelos Odysseas Papathanassiou)

Erst vor wenigen Tagen schrieb ich zum Tode von Klaus Schulze, Abschied müsse man üben, denn sonst falle er viel zu schwer. Und ich wusste, dass ihm noch viele Elektromusiker folgen werden, egal ob es die – aus meiner Sicht – Betagten sind oder diejenigen, von denen es noch nicht zu erwarten gewesen war. „Und doch liebe ich sie alle. Für das was sie geschaffen haben und noch viel mehr für ihre Inspiration. Jeden auf seine Art“, fügte ich an.

Nun traf es also Evangelos Odysseas Papathanassiou, genannt Vangelis. Exakt drei Wochen nach Schulze musste sich mit ihm ein weiterer Solo-Synthesizer-Künstler gleicher Generation einer Krankheit geschlagen geben – in seinem Falle war es COVID-19. Vangelis war gebürtiger Grieche, lebte und arbeitete zuletzt in Athen, doch verstorben ist er in seiner langjährigen Wahlheimat Paris, wo er sich vor seinem Tod mehrere Wochen lang in ärztliche Obhut begeben hatte.

Hierzulande erlangte Vangelis vor allem mit der Hit-Single „Conquest of Paradise“ größere Bekanntheit. Zwar bereits 1992 veröffentlicht als Teil des Soundtracks zum Ridley Scott-Film „1492 – Die Eroberung des Paradieses“, kam der Titel in den deutschen Charts 1995 auf Platz eins, nachdem er für den Boxer Henri Maske von RTL als Einlaufmusik zu dessen Boxkämpfen auserkoren worden war.

Regisseur Scott hatte sich Vangelis bereits Jahre zuvor als Komponisten des Soundtracks für den futuristischem Thriller „Bladerunner“ (1982) ausgesucht und der Grieche nutzte die Gelegenheit um mit dem „Bladerunner“-Filmsound veile weitere Genre-Komponisten wie Hans Zimmer zu beeinflussen. Er schrieb in seiner Karriere die Musik noch für viele weitere Kinofilme, darunter „Missing“ (1989), „Antarctica“ (1983), „Alexander“ (2004) oder „Chariots of fire“ / „Die Stunde des Siegers“ – für letztere Musik wurde Vangelis 1982 mit dem OSCAR prämiert.

Der junge Vangelis war kein formell ausgebildeter Musiker, was ihm nach eigenen Aussagen geholfen habe, seinen Sinn für Kreativität zu bewahren. Da er vom Herzen her Maler werden wollte, studierte an der Akademie der Schönen Künste in Athen und gab sich dann seiner Leidenschaft als Musiker hin. Mitte der 1960er Jahre sorgte die Band Forminx bei jungen Griechen im ganzen Land für Begeisterungsstürme. „Jeronimo Yanka“, „Love Without Love“ oder „Our Last September“ wurden zu kleinen Hits und auf den Konzerte war es Evangelos an den Keyboards, der von den Fans gefeiert wurde. Doch dass der junge Musiker aus der mittelgriechischen Hafenstadt Volos rund 15 Jahre später einen Oscar gewinnen würde, war eine zu utopische Vorstellung.

1968 zog Evangelos nach Paris und bildete dort gemeinsam mit zwei weiteren griechischen Musikern, dem Sänger Demis Roussos und dem Schlagzeuger Loukas Sideras, die progressive Rockgruppe Aphrodite’s Child. Deren hauptsächlich von ihm komponiertes Konzept-Doppelalbum „666“ gilt heute inklusive der Single-Auskopplung „The four Horsemen“ als ProgRock-Klassiker. Nachdem sich Roussos aber für eine Karriere als Solo-Sänger entschlossen hatte („Goodbye, My love, Goodbye“, 1973) startete Evangelos als Vangelis in London seine Solokarriere und experimentierte mit elektronischen Musikinstrumenten wie dem CS-80 von YAMAHA, mit dessen Hilfe er Teile seines unverwechselbaren Sounds erzeugte.

Von Anfang an setzten sich in seinem Kopf orchestrale Welten zusammen, wobei er in seiner Musik immer auch Elemente griechischer Volksmusikkunst und orthodoxer christlicher Chormusik miteinander verwob. Mit Alben wie „Heaven and Hell“ (1976), „Albedo 0.39“ (1976) und „Spiral“ (1978) formte er seinen Ruf als Synthesizer-Virtuose; Teile von „Heaven and Hell“ waren prägend für die TV-Serie „Unser Cosmos“ von und mit Carl Sagan und das ZDF verwendete Vangelis‘ Musik viele Jahre für seine „Album“-Jahresrückblicke.

Alle drei Alben nahm er, wie viele Werke danach, in seinen legendären „Nemo“-Studios auf. In London traf er auch auf Jon Anderson, den Sänger der ProgRock-Band Yes, mit dem er sich anfreundete und sich trotzdem wunderte, weshalb Anderson akribisch aufschrieb, wie und mit welchen Mitteln Vangelis seinen typischen Sound erzeugte: eine Mischung als akustischen Weltmusikinstrumenten und Synthesizern, gemischt mit akustischem und elektrischem Piano.

Wenig später nahm Anderson im Alleingang sein erstes Solo-Album „Olias of Sunhillow“ auf und Vangelis bekam Ärger mit seinem damaligen Plattenlabel, das sich damit unzufrieden zeigte, dass er auf „Olias …“ mitgespielt habe, ohne sie darüber zu informieren. Vangelis schüttelte den Kopf und antwortete: „Es kann sein, dass ich Jon mit meiner Musik beeinflusst habe, ich weiß es nicht. Und er kommt dem, was ich mache, manchmal recht nah. Auf jeden Fall ist es eine gewaltige Leistung, dass es so eine Platte gibt, er sie im Alleingang aufgenommen hat und Jon als Debütant an den Keyboards zu sehen ist wunderbar, da er kein Instrumentalist im alten Sinne des Wortes ist.“ Später arbeiteten die beiden dann gleich bei mehreren Alben als Duo Jon & Vangelis zusammen (= Short Stories, 1980 / The Friends of Mr. Cairo, 1982 / Private Collection, 1983 / Page of Life, 1992).

Anfang des neuen Jahrtausends experimentierte Vangelis schließlich mit Orchestermusik, komponierte 2002 die Musik zur Fußball-WM in Korea und Japan sowie 2016 einen Soundtrack für die Rosetta-Mission der ESA; 2021 erschien mit „Juno to Jupiter“ sein bislang letztes Studioalbum. Als bestes Spätwerk gilt die „Mythodea“ mit choralen Elementen.

Noch vor seinem Tode gründete Vangelis in Athen die „Evangelos Papathanassiou Stiftung“ zur Förderung junger Musiker – Vangelis wurde 79 Jahre alt.

Geschrieben von und © 2022 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining

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