DER MAGIER DER SCHWEBENDEN MUSIK | Zum Tode von Klaus Schulze

„Ich verstehe nicht, dass es Menschen gibt, die den Synthesizer für ein unnatürliches Instrument halten, der nur kalte Musik hervorbringen kann. Geigen wachsen auch nicht einfach so auf Bäumen.“ (Klaus Schulze in einem Interview mit „Sounds vom Synthesizer“)

Klaus Schulze ebnete Edgar Froeses Mandarinen-Traum als Schlagzeuger den Weg ins Musik-Business, gründete zusammen mit Manuel Göttsching die Band Ash Ra Tempel und ging als Mitbewohner der legendären Schwäbischen Straße 7 in Berlin-Schöneberg dann den steinigen Weg, als Solo-Künstler im Genre der Elektronischen Musik erfolgreich zu sein. Die Schublade, „kosmischer Kurier“ zu sein (die sich einst OHR-Label Chef Rolf-Ulrich Kaiser erdacht hatte), fand Schulze ebenso unpassend wie (Zitat) „grässlich“. Sei Zie war es, eine Musik zu kreieren, die an nichts erinnerte, was es bis dato gegeben hatte.

Um dieses Ziel zu erreichen widmete er sich von 1972 an der Komposition instrumentaler atmosphärischer Klangflächen, zuerst mit tatkräftiger Unterstützung von philharmonischen Streichern zu Farfisa-Orgelklängen (Irrlicht,1972 / Cyborg, 1973) und ab den Alben Blackdance (1974) und Picture Music (1975) tatsächlich mit Hilfe von Synthesizern – ein „musikalischer Befreiungsschlag“, wie er mir später erzählter. Dabei wurde Schulze von Album zu Album sicherer in seinem künstlerischen Werk und fand mit Timewind (1975) erstmals ein größeres Publkum. Es war zugleich das erste Album des Künstlers, auf dem er einen Sequenzer einsetzte und zwar den „Synthanorma“ der Fa. Matten & Wichers, den diese für die Düsseldorfer Band Kraftwerk konstruiert hatten.

Mit Moondawn (1976), seinem ersten weltweit erfolgreichen Werk, etablierte sich Schulze als einer der einflussreichsten Wegbereiter der sog. Berliner Schule der Synthesizermusik. Möglich wurde „Moondawn“ auch durch zwei externe Faktoren: zum einen durch der Erwerb des „Big Moog“-Modularsystems III p + Sequenzer von Florian Fricke, das bis 1980 Klaus Schulzes künstlerisches Hauptmusikinstrument werden sollte, zum anderen durch die Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Tonmeister Eberhard Panne, der beinahe ein Jahrzehnt lang Schulzes Hausproduzent wurde.

Klaus Schulze Live 1975 in Italien – Innencoverfoto aus dem Album „Moondawn“ (BRAIN Metronom)

Er sei Solo-Artist geworden, weil er „von den Diskussionen in den Gruppen, die oft länger andauerten als die Zeit, in der wir Musik machten, genervt gewesen“ sei, sagte mir Klaus Schulze 1985 in einem Interview für den Hessischen Rundfunk. Gleichwohl arbeitete er gerne mit anderen Musikern zusammen, so etwa mit dem Cellisten Wolfgang Tiepold und dessen Streichergruppe des Hessischen Rundfunks (X, 1977) oder dem Schlagzeuger Harald Grosskopf (der wie Tiepold gleich auf mehreren Schulze-Alben assistierte) sowie den SängerInnen Arthur Brown und Lisa Gerrard. 1980 trat Klaus Schulze u.a. bei der Ars Electronica in Linz auf, arbeitete als weltweit einer der ersten Musiker mit einem digitalen Computer-Synthesizer und gründete mit „Innovative Communication“ sein eigenes Musiklabel, dessen größter Erfolg ihm mit der Musikgruppe Ideal gelang.

In den 1980er-Jahre hatte Schulze aber auch mit ersten gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, die hauptsächlich mit übermäßigen Alkoholkonsum zusammenhingen. Gleichwohl veröffentlichte er weiter Album um Album und spielte ein Solo-Livekonzert nach dem anderen, u.a. vor dem Kölner Dom (1991), in der Londoner Royal Festival Hall (1992), in Lille, Paris und Rom (1994) und in Derby (1996). Im Jahre 2000 komponierte Klaus Schulze die Musik für die Millennium-Feier in Peking, 2001 entstanden beim KlangArt-Festival die Aufnahmen für Live at KlangArt, Teil 1 und 2.

Ab Mitte der 2000er musste Klaus Schulze aufgrund gesundheitlicher Probleme immer wieder kürzer treten. Sein langjähriger Manager und streibarer Hüter des Schulze Ton- und Bild-Archivs Klaus D. Müller versorgte die Fans derweil mit Schulze-Werken aus der Konserve. Gleichwohl gelang es dem Magier der schwebenden Musik immer noch, elektronischen Instrumenten so virtuos hochemotionale Klänge zu entlocken, wie es nur wenige andere Musiker konnten. In Zusammenarbeit mit der Vokal-Artistin Lisa Gerrard gelangen Klaus Schulze Ende der 2000er Jahre nochmals beeindruckende Live-Events mit Gesangsunterstützung (u.a. Rheingold, 2008 / Dziękuję Bardzo, 2009 / Big in Europe, 2013 aufgenommen jedoch 2009) und ein letztes Konzert-Event in Tokyo, das komplett mit mehreren Kameras aufgezeichnet wurde (Big in Japan (Red Edition / Blue Edition, 2010). Die Konzerte in der japanischen Hauptstadt waren aber zugleich seine letzten Auftritte in der Öffentlichkeit. Wenige Monate vor seinem 75. Geburtstag verstarb Klaus Schulze gestern Abend nach langer Krankheit, aber dennoch plötzlich und unerwartet, wie sein Sohn mitteilte. Im Juni erscheint posthum sein letztes Studioalbum Deus Arrakis.

Klaus Schulze „Picture Music“ Album Cover with Foto from the „Moondawn“ Album Cover (BRAIN Metronom)

Was von ihm bleibt sind seine Einflüsse auf gleich mehrere Musikgenres, die sich aus der elektronischen Musik herauslösten und auch auf ganz individuelle künstlerische Sichtweisen. So beeinflusste er mit seinem äußerst produktiven Werk von rund 60 Musikalben andere Musiker von David Bowie bis Brian Eno. Schon in den 1970er Jahren arbeitete er „crossover“ mit Musikern wie Stomu Yamash’ta (Go), Michael Shrieve (Santana), Steve Winwood (Traffic) oder Al Di Meola zusammen. Auch produzierte er international, so etwa die Far East Family Band mit einem Keyboarder namens Masanori Takahashi, der sich später in Kitaro umbenannte, und schrieb und spielte Filmusiken ein, wobei er auch keine Berührungsängste hatte, für Pornofilm-Regisseure wie Lasse Braun zu arbeiten. Umgekehrt beriefen sich Fimmusikschaffende wie der mehrfach OSCAR-prämierte Hans Zimmer auf den gebürtigen Berliner und arbeiteten mit ihm zusammen; zuletzt trat Schulze als Co-Komponist bei Zimmers Soundtrack für den Kinofilm „Dune“ in Erscheinung.

Ohne Übertreibung kann man sagen, dass Klaus Schulze international stets mit weitaus höherer Aufmerksamkeit bedacht wurde als hierzulande. Mich selbst beeinflusste er Anfang der 1970er Jahren dahingehend, dass ich Solo-Elektronikmusiker wurde, mir einen eigenen kleinen Synthesizer selbst baute und ab 1977 mit dem ARP Synthesizer plus Sequenzer arbeitete. 1980 kaufte ich mir einen gebrauchten EMS VCS III Synthesizer, der einst im Besitz von Schulze war, und heute noch lege ich bei Liveauftritten gelegentlich kleine Metall-Figuren auf die Tasten, so wie ich es mir einst bei Klaus Schulze abgeschaut hatte.

In meinen Radio-Interviews mit ihm war er stets sehr freundlich und erzählfreudig und als eindrucksvollste private Erinnerungen bleiben mir die gemeinsamen Autofahrten durch den Frankfurter Norden rund um die Severusstraße in Heddernheim, wo sich Eberhard Pannes Tonstudio befand, zu Schulzes Lieblingsorten, die gleichbedeutend mit seinen dortigen Lieblingspizzerien waren. Und natürlich mein Aufeinandertreffen mit der mir damals gänzlich unbekannten Annette Humpe in Schulzes Anwesen in der Lüneburger Heide, als er dort das Debutalbum von Ideal vorstellte.

Geschrieben von und © 2022 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining

Klaus Schulze LIve 1978 – Coverforo des Albums „La Vie Electronique Vol. 5“ (MIG Indigo)

Ein persönlicher Nachtrag: Abschied müsse man üben, denn sonst falle er viel zu schwer, textete einst Heinz Rudolf Kunze („… Viele die du gern hast müssen vor dir gehn. Wenn du wirklich trauern kannst, bleiben sie bestehn …“) – Trotzdem wird es inzwischen doch ein wenig einsam um einen herum.

Michael Garrison machte im März 2004 den Anfang, auf ihn folgte 2005 Armin Stöwe, Konrad Schnitzler verließ im August 2011 diese Welt, im März 2013 verstarb Reinhard Lakomy, im Januar 2015 – nur einen Tag nach dem Ableben meines Vaters – traf es Edgar Froese, gefolgt von Dieter Moebius im Juli des gleichen Jahres. Keith Emerson beendete im März 2016 sein Leben, im Mai 2016 machte Isaou Tomita seinen letzten Atemzug und im September 2017 Holger Czukay. Meinen langjährigen musikalischen Partner Thomas Kapke traf es im Januar 2018, im Dezember 2019 ging schließlich Götz Gustav Ksinski aka Gershon Kingsley von uns, im April 2020 folgte Florian Schneider und nun weilt also Klaus Schulze nicht mehr „unter uns“.

Natürlich müssen auch diejenigen, die uns Elektronikmusikenthusiasten so sehr am Herzen liegen, irgendwann die Welt verlassen. Manche unerwartet früh wie Dieter Schütz 1991, andere im hohen Alter, wie der „Popcorn“-Komponist. Einige durch eigene Hand, viele oft nach langer oder kurzer Krankheit. Das ist ganz normal und nur allzumenschlich. Für mich selbst kann ich sagen, dass ich inzwischen im Abschiednehmen geübt bin und trotzdem fällt einem jeder Verlust schwer. Was fehlt sind die Gespräche, Telefonate oder der Austausch via Brief, E-Mail oder SMS, die Spaziergänge und vor allem der künstlerische Input/Output.

Es werden noch viele Musiker folgen, egal ob es die – aus meiner Sicht – Betagten sind, wie Wendy Carlos, Ralf Hütter, Eberhard Panne, Brian Eno, Rick Wakeman, Vangelis, Hans Joachim Roedelius oder diejenigen, von denen „man“ es noch nicht erwartet hatte. Und doch liebe ich sie alle. Für das was sie geschaffen haben und noch viel mehr für ihre Inspiration. Jeden auf seine Art.

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