Lesen Sie HIER Teil 1 und DORT Teil 2 des Artikels!
Wladimir Wladimirowitsch Putin schien überrascht vom Ablauf seines Ukraine-Einmarschs und der mangelnden Schlagkraft seiner Armee und so änderte er bereits nach einer Woche sowohl seine Strategie als auch die anfangs gewählte Taktik, gab alle Zurückhaltung auf und schaltete in den „Syrien-Modus“ um: Die brutale Zerstörung des Landes ohne Rücksicht auf den Schutz von Krankenhäusern, Wohnblocks oder sonstiger Infrastruktur unter Einbeziehung des Todes vieler unbewaffneter Zivilisten. Dass ihn dies mit einem Schlag von einem gefährlichen Aggressor zu einem zu ächtenden Kriegsverbrecher machen würde, schien ihm weniger wichtig als der Erfolg seines Krieges.
Putins Problem war aber eher logistischer Art und zudem nicht neu. Auch beim Kriegsausbruch 1914 hatte niemand mit einem langen Krieg gerechnet. Deshalb waren die Volkswirtschaften und auch die Rüstungsindustrie, genauso wie es heute in Russland der Fall zu sein scheint, auf so etwas nicht vorbereitet. 1914 begann man deshalb schon nach kurzer Zeit, Artilleriegeschosse zu rationieren und sagte den Truppen, sie dürften nur noch eine bestimmte Stückzahl pro Tag verschießen. Der Russische Präsident hat ein ähnliches Problem: Ist die russische Rüstungsindustrie in der Lage, schnell Nachschub auszuliefern? Produzieren kann sie, das ist nicht das Problem, aber die logitischen Defizite sind enorm. Es ist fast wie bei einem aus dem Ruder gelaufenen Bankraub, der ursprünglich nach dem Motto „schnell rein, schnell raus“, stattfinden sollte, dann eskalierte und für beide Seiten zermürbend wird.
Auch für Wladimir Putin ist die ursprünglich nicht vorgesehen Änderung von Strategie und Taktik gefährlich für die ausgegebenen Ziele und führt zu einer Eskalationsspirale, die vom russischen Präsidenten immer weniger kontrolliert werden kann. Dessen ist er sich bewusst, aber er kann nicht mehr zurück. Hinzu kommt Putins Angst, dass die Menschen in Russland zu viel davon erfahren könnten, was russische Truppen in der Ukraine anrichten. Der Kreml weitete deshalb die Zensur massiv aus und Russlands Behörden vollzogen in Rekordzeit mit dem „Gesetz zur öffentlichen Verbreitung absichtlich falscher Informationen über die Benutzung der Streitkräfte der Russischen Föderation“ eine flächendeckende Zensur – so umfassend, wie es sonst nur in Kriegszeiten üblich ist.
Das brachte wiederum viele Russinnen und Russen angesichts der „militärischen Sonderoperation“, die offiziell nicht Krieg genannt werden darf, zum Nachdenken: berichten tatsächlich Facebook, Twitter, BBC, CNN & Co oder auch alle freien russischen Medien falsch über das, was in der Ukraine vor sich geht? Hat sich tatsächlich die gesamte westliche Welt ohne Grund gegen Russland verschworen um es auszulöschen? Oder ist vielleicht Präsident Putin der Geisterfahrer und nicht alle anderen, die ihm entgegenkommen? Soldatenmütter sind da sehr sensibel, wenn sie nichts mehr von ihren Söhnen hören oder wenn Rekruten, die aus dem Kriegsgebiet zurückkehren, die Wahrheit berichten. So etwas kann von einem Staat nicht unterdrückt werden, selbst wenn er die eigenen Soldaten mit Straflager bedroht, für „falsche Informationen unter dem Deckmantel wahrheitsgetreuer Mitteilungen“.

Die komplette Zensur des Internets ist fast schon eine Kunst, die bisher nahezu kein Land auf der Welt beherrscht. Allein die gefürchtete chinesische Firewall und das nordkoreanische „Kwangmyong“ funktionieren bislang so, dass alles geblockt werden kann und nur noch das als Information hindurch kommt, was die Staatsführung aktiv hindurchlassen möchte. Auch in Russland laufen seit 2014 die Vorbereitungen für ein „Runet“ nach nordkoreanischem Vorbild. Wann es in Gänze zum Einsatz kommt, ist aber ungewiss und so ist es wie immer: wer Antworten sucht, der findet irgendwann auch welche. Unzensiert und ungeschminkt.
Zurück zu Strategie und Taktik: Warum zögerte Wladimir Putin, mit seiner Luftwaffe die ukrainischen Metropolen anzugreifen oder über Cyberattacken die digitale Infrastruktur lahmzulegen? Hatte er es versäumt, seine militärische Strategie an das 21. Jahrhundert anzupassen? Nein. Seine Strategie war ursprünglich ganz klar in folgende Richtung gewählt: Lufthoheit erreichen, die Ukrainische Luftwaffe zerstören und über Cyberangriffe die Netzhoheit über der Ukraine erreichen. Erklärtes Ziel: der Sturz der politischen Führung, während die Infrastruktur in der Ukraine nicht dauerhaft beschädigt werden, sollte, denn dies lag nicht im Interesse Russlands. Aus Erfahrung weiß man: nach einem Auswechseln der Regierung ist es wichtig, die Bevölkerung so wenig wie möglich gegen sich aufzubringen. Indes gelangen weder Umsturz, noch Vormarsch, noch die Cyberangriffe; letzteres lag auch an internationale Konterattacken auf die russischen Hackerkollektive, was zu einer Art Neutralisierung führte.
Also blieb Putin nur der „Syrien Modus“: die Brutalisierung des Krieges. Schon der Beschuss der Stadt Charkiw am Ende der ersten Kriegswoche zeigte, dass die russischen Truppen zunehmend rücksichtsloser vorgingen und von Kriegstag zu Kriegstag steigerte sich dies bis hin zur Auslöschung von Mariupol. Der russische Präsident ging weder verbL darauf ein; noch stoppte er das Vorgehen. Im Gegenteil war in fast jeder seiner Ansprachen pauschal vom „Westen“ die Rede, davon das alles, was mit Russland zusammenhänge, mit Zustimmung „der herrschenden Eliten diskriminiert und zerstört“ werde.
Was man wissen muss: All sein Handeln, all sein Tun basiert überwiegend auf seinem Hass auf den Westen, den er als Grundübel für das Ende der UdSSR verantwortlich macht. Kommunismus und Sozialismus sind seiner Ansicht nach zwar Wesenselemente der Russischen Gesellschaftkultur, zugleich aber auch das Zarenreich. So sagt Wladimir Wladimirowitsch Putin in dem von ihm autorisierten Buch „Aus erster Hand (Gespräche mit Wladimir Putin)“ Groß-Russland sei „von Anfang an als superzentralisierter Staat geschaffen“ worden und fügte an: „Das ist in seinem genetischen Code, in den Traditionen und der Mentalität der Menschen verankert.“ und ein paar Kapitel weiter sinniert er: „Ein Monarch kann über das Schicksal seines Volkes nachdenken, ohne sich von Kleinigkeiten ablenken zu lassen.“ Man muss an solchen Stellen noch nicht einmal zwischen den Zeilen lesen, um eigene Rückschlüsse zu ziehen, denn dieser Interviewband bringt einem die Denkweisen des Russischen Präsidenten näher als manche andere Informationsquelle. Und ganz im Sinne seiner Sicht der Dinge erkor Putin vor gar nicht allzulanger Zeit Zar Iwan IV. Wassiljewitsch zu seinem persönlichen Idol.
Lesen Sie HIER Teil 4 des Artikels!
Geschrieben von und © 2022 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining