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Um 500 v. Chr. lebte in China ein General und Philosoph namens Sunzi (gelegentlich auch Sun Tsu oder Sun Tsi genannt), der er ein Buch „Über die Kriegskunst“ schrieb, das als frühestes Werk über Strategie und Taktik in der Kriegsführung zählt und bis zum heutigen Tage als eines der bedeutendsten Werke zu diesen Themen gilt. Es besteht aus verschiedenen Kapiteln, die logisch aufeinander aufbauen. So folgt auf die strategische Planung eines Angriffs die Auswahl der Taktik, die Sunzi als Disposition militärischer Stärke definiert. Zwar geht es bei ihm auch um die Nutzung der eigenen Schlagkraft, um das Ausloten von Schwächen und Stärken des Gegners, um die Auseinandersetzung mit dem Terrain des Kampfortes oder den Einsatz von Spionen und so weiter, aber immer wieder spielen die zu wählenden Strategien und die verschiedenen Varianten der Kriegstaktik eine zentrale Rolle.
In seinem zweieinhalb Jahrtausende alten Werk mahnte Sunzi, dass Krieg und Kampf den Staat und das Volk ruinieren können und daher möglichst vermieden werden sollten. Sollte es aber doch zu einer Eskalation kommen, nannte er als erfolgreichste Strategie, die feindliche Strategie zu erforschen und zu vereiteln. Am zweitbesten sei es, die Bündnisse des Feindes aufzubrechen und erst, wenn dies nicht erfolgreich sei, folge der Kampf. Strategisch wichtig sei jedoch, durch kluges Handeln Bedingungen zu schaffen, in denen man den Feind mit möglichst geringem Gewalteinsatz besiegen müsse. Strategie ist seinen Worten nach die Vorarbeit, das Gedankenspiel, ein Aktionsplan für die Zukunft, während die Taktik den konkreten Aktionsplan darstelle.
Es ist ganz wie bei einem Schachspiel: nach der Positionierung einzelnen Figuren (= Stategie) geht es in den Angriffsmodus über und die Figuren werden in die Felder verschoben, in denen sie geeignet sind, dem Gegner in eine Falle zu locken, ihn schachmatt zu stellen und zu besiegen (= Taktik). Was Sunzi in seinem Buch zur Kriegskunst aber besonders wichtig ist: „Jeder kann die Taktik erkennen, mit der ich kämpfe, aber niemand sieht meine Strategie, die zum Sieg führt.“ Beide Dinge seien somit gleich wichtig, die Taktik ist zwar sichtbarer, das Fundament des Erfolges stelle jedoch die übergeordnete Strategie dar. Nur die gleichzeitige Nutzung beider Elemente hilft, die Ziele zu erreichen. Jedoch: seine Strategie als auch die Taktiken während des Kampfes zu verändern, berge ein hohes Risiko in sich, vor allem, wenn man es nicht mit einem kühlem Kopf vorbereitet habe.
Beherrscht Wladimir Putin im Ukraine-Krieg neben der erkennbaren Taktik auch die Strategie im Verborgenen? Ohne Zweifel sitzen im Kreml im Auftrage Putins Meister des verborgenen Agierens. Seit Jahren werden weltweit gezielt Gegner oder Ex-Agenten mit dem Strahlengift Polonium-210 oder auf andere Weise getötet und stets weist der Kreml jegliche Verantwortung von sich, sei die Faktenlage boch so klar. Klar ist auch , dass der Russische Präsident allein Stärke akzeptiert und Schwäche/n schonungslos für seine Zwecke nutzt. Auch ändert er immer wieder die Regeln im eigenen Land, zum Beispiel durch neue Gesetze oder bei der Medienkontrolle. Doch nicht erst seit gestern weiß man, dass nicht alles so kommt, wie man es sich strategisch denkt und darüber hinaus sich Geschichte wiederholt.
Als im Ersten Tschetschenienkrieg [Anm.: das war noch vor Putins Zeit] russische Truppen in die Kaukasusrepublik einrückten, sollte die Region innerhalb weniger Tage eingenommen werden. Allerdings entwickelte sich der Feldzug zum Desasterfür die russisdche Armee, da die russischen Verbände zu einem großen Teil aus unerfahrenen Soldaten bestanden, die erst kurz zuvor formiert worden waren und wenig inneren Zusammenhalt besaßen. Die Einnahme der Hauptstadt Grosny erwies sich als verlustreich und langwierig. Den tschetschenischen Kräften, die massive Unterstützung aus dem Ausland erhielten, gelangen Erfolge, da sie auf eine Art Guerillakriegsführung wechselten. Die russischen Verluste waren derart hoch, dass sie zu Widerstand in der russischen Bevölkerung führten und ein Friedensvertrag mit Tschetschenien geschlossen wurde, wonach Moskau seine Soldaten zurückziehen musste. Obwohl sich dieses Szenario heute im Ukraine-Krieg nahezu identisch darstellt, hatte Putin seinerzeit die alte Armeeführung scharf gerügt, für ihr Versagen bestrafen lassen und versprochen, dass sich so etwas niemals wiederholen werde.

Im Zweiten Tschetscheinenkrieg setzte Wladimir Putin als neuer Staatschef darauf, schwere Menschenrechtsverletzungen durch russische Soldaten und sog. „Sondereinheiten“ als Druckmittel gegen die Bevölkerung einzusetzen um erfolgreich zu sein und er ging fest davon aus, hierfür nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Unter anderem wurde die Hauptstadt Grosny, nachdem sie sich nicht ergeben wollte, von der Russischen Armee in Schutt und Asche gelegt. Trotzdem konnte Russland weiterhin frei auf internationaler Bühne agieren. Nach der völkerrechtswidrigen Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim wurde dort ein Passagierflugzeug von einer russischen Buk-Boden-Luftrakete abgeschossen und es gab knapp 300 zivile Opfer. Erneut stritt der Kreml jegliche Verantwortung ab, gab der Ukraine die Schuld am Abschuss und abermalsfolgten weder für Russland noch Putin essentielle Konsequenzen. Im syrischen Aleppo ging das dortige Regime mit Putins Unterstützung erst hart gegen die Rebellen vor und legte dann die Stadt in Schutt und Asche, wie einst Grosny. Außerdem wurde in Syrien nachgewiesen, dass von syrisch-russischer Seite aus Chemiewaffen eingesetzt wurden, was Moskau vehement bestritt und der gegenseite die Schuld gab.
Insofern ist Putins Strategie für die Ukraine keinesfalls im Verborgenen, sondern folgt/e einer Art Blaupause. Erst nachdem er sich sicher war, dass es gelingen würde, startete der den Krieg von sich aus mit dem Ziel, in der Ukraine einen schnellen Kriegserfolg zu erzielen, die Absetzung der Regierung zu erreichen und die Eingliederung des Landes in die Russische Nation vorzunehmen. Er war fest davon überzeugt, dass seine russischen Besatzer von der Bevölkerung als Berfreier begrüßt würden. Vor allem aber sollte Kiew möglichst unversehrt bleiben. Und doch kam alles völlig anders.
Der Russische Präsident musste feststellen, dass er einerseits von seinem Umfeld falsch unterrichtet worden war und deshalb mit seiner Analyse des Kriegsausgangs völlig falsch gelegen hatte. Seine persönliche Fehleinschätzung betraf jedoch die möglichen Wirtschaftsfolgen gegen Russland. Die westlichen Länder einigten sich innerhab nur weniger Stunden auf schwertste Sanktionen, sogar gegen ihn persönlich, der vermeintlich schwache Bundeskanzler stellte die jahrzehntelange Rolle der Bundeswehr auf den Kopf, verordnete ihr im Eiltempo einen 100 Mrd. Euro Rüstungsbonus. Hart agierten auch viele Wirtschats- und Technologiekonzerne, Sportverbände und die Finanzwelt. Das beeindruckte und erschreckte Wladimir Wladimirowitsch Putin. Schwerwiegender war aber, dass sich nach dem Einmarsch in die Ukraine kein schneller Erfolg einstellte.
Das wiederum lag nach Expertenanalysen essentiell am Zustand der russischen Armee, wofür allein der Präsident die Verantwortung trägt. Bereits sein erster Verteidigungsminister, Sergei Iwanow, war kein „Mann vom Fach“ sondern Putins Stellvertreter beim russischen Inlandsgeheimdienst FSB – der erste Verteidigungsminister, der nicht aus der russischen Militärelite stammte. 2007 übernahm Anatoli Serdjukow Iwanows Posten, der Schwiegersohn von Wiktor Subkow, Putins damaligen Ministerpräsident. Auch er war niemals Armeeangehöriger gewesen, hatte zuvor an der Hochschule für Sowjetischen Handel studiert und war Leiter der föderalen Steuerbehörde gewesen. Auf ihn folgte 2012 schließlich Sergei Schoigu, ein studierter Bauingenieur, der im Katastrophenschutz tätig war und ebenso keinen einzigen Tag in der Armee gedient hatte. Dass solche Verteidigungschefs von den Streitkräften Armee absolut nicht respektiert werden, gehörte zum Kalkül des GröTaZ, denn die Angst vor einer militärischen Verschwörung oder einem militärischen Sturz sitzt bei Wladimir Putin tief. So tief dass Schoigu möglicherweise schon bald wegen Inkompetenz wieder abgesetzt werden wird.
Solche Vorgehensweisen und die Tatsache, dass vielen Armeeangehörigen erzählt wurde, beim Einmarsch in die Ukarine gebe es so gut wie keinen WIderstand und es sei fast wie auf einer Übung, schwächten die Russische Armee. Im Ukrainekrieg verfiel die Moral vieler Soldaten offenbar schon nach wenigen Tagen derart, dass eine große Zahl von ihnen wenig Lust verspürte, bei heftigem Widerstand das eigene Kriegsgerät zu „retten“, lieber retteten sie sich selbst. Außerdem zeigte die Ukrainische Bevölkerung Ent- und Geschlossenheit, ihr Land mit allen Mitteln zu verteidigen. Also war der Russische Präsident gezwungen, sowohl seine Strategie als auch die Taktiken zu ändern, was laut Sunzi schon vor 2.500 Jahren schwerwiegende Folgen mit sich bringt. Putin befahl das, was er zuvor in Tschtschenien und Syrien anordnete: die Zerstörung der Infrastruktur ohne Rücksicht auf zivile Opfer inklusive der Option, ggf. gezielt Chemiewaffen einzusetzen. Allerdings konnte er die eigenen Soldaten in der Öffentlichkeit nicht der Feigheit bezichtigen – umso weniger, als man sich doch nicht im Krieg sondern inmitten einer „militärischen Spezialoperation“ befand. Also meldete sich Wladimir Wladimirowitsch Putin mit den Worten: „Ich möchte sagen, dass die militärische Spezialoperation streng nach Zeitplan und exakt wie vorgesehen verläuft.“ – If 6 was 9!
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Geschrieben von und © 2022 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining