„Disziplin kann man nicht kaufen, aber sie zahlt sich aus.“ (Thomas Röhler)
Die Historie des Homo Sapiens verläuft in Trampelpfaden, denn in der Natur des Menschen liegt es seit Urzeiten, stets den kürzesten Weg zu nehmen. Das spart Kraft und Zeit und so entstehen eben diese Trampelpfade. Paradox ist, dass wir beim Aufschieben von wichtigen Dingen oder Aufgaben, dem sog. Prokrastinieren, ebenso den Weg einer Abkürzung gehen. Steht beispielsweise eine Prüfung an und unser verstand meint, wir müssten lernen, übernimmt oft unser Reptilienhirn die Kontrolle und spult sein biologisches Ur-Programm ab. Plötzlich gibt es vermeintlich Wichtigeres zu tun: Aufräumen, Putzarbeiten, Reparaturen, Besuche, E-Mails checken und so weiter.
Wir machen das, weil wir denken, kleine Fluchten aus dem rationalen Alltag seien nichts Schlimmes und die sofortige Erledigung wichtiger Aufgaben koste uns möglicherweise zu viel Energie. Und doch ist genau das Gegenteil der Fall und wir wissen es in unserem Innersten – sprich: vom Verstand her – auch. Vielleicht sparen wir anfangs Energie, das aber hat Konsequenzen: ein schlechtes Gewissen hemmt im Nachhinein Kraft und „kostet Nerven“, weil das Aufgeschobene später umso schwieriger nachgeholt werden muss. In meinen Seminaren habe ich dazu ein eigenes Modul namens „Pflicht und Kür“.
Rund 20 Prozent der Bevölkerung prokrastinieren regelmäßig, weil sie Schwierigkeiten damit haben, Prioritäten zu setzen und den langfristigen Erfolg zugunsten von kurzfristig guten Gefühlen verschieben. Das hat schon was von Selbstbefriedigung – zumindest geistiger. Sind Aufgaben groß, liegen diese subjektiv auch weit entfernt. Daher ziehen wir kleinere Aufgaben vor (Aufräumen, Abwaschen, E-Mails lesen u.s.w.), weil diese eine schnelle Belohnung versprechen: sind sie geschafft, schüttet die Hirnanhangsdrüse Endorphine aus, also körpereigene Substanzen, die ein Wohlgefühl auslösen. Hinzu kommt, dass Menschen, die über zu viel Arbeit klagen, meistens von ihrem Umfeld Mitgefühl zurückerhalten. Anders formuliert: Viele Menschen, die prokrastinieren, neigen dazu, kurzfristige Belohnungen höher zu bewerten als zukünftige Erfolge.
Die gute Nachricht ist: Nur wenige Menschen benötigen eine Therapie, um ihre seelieschen Prokrastinations-Trampelpfade zu überwinden. Schon mit kleinen Routinen lässt sich die alltägliche Aufschieberitis stoppen. Können Sie sich in die Zeit zurückversetzen, als die Welt noch spannend und aufregend für Sie war, als jeder Tag etwas Neues brachte, Überraschungen bot und Sie „wie von selbst“ lernten? Diese Zeit lag zumeist im Kindesalter. Damals haben wir aus Interesse und mit Freude Neues erfahren und aufgenommen, um es zu gebrauchen und zwar gehirn-gerecht. Das änderte sich für die meisten Menschen dramatisch in Schule und Ausbildung.
Die Wiederentdeckung des gehirn-gerechten Vorgehens verdanken wir der Management-Trainerin und Autorin Vera F. Birkenbihl, die – basierend auf Ergebnissen der Hirnforschung – schon 1969 ihre ersten Workshops in den USA zu diesem Thema machte und den Begriff „brain-friendly“ prägte, der im Deutschen mit dem Begriff „gehirn-gerecht“ zu einem Markenzeichen wurde. Nach der VFB-Methode ist es möglich, auch als älterer Mensch Freude am gehirn-gerechten Lernen zu haben, wenn es leicht geht und funktioniert. Entsprechend kann man durchaus Spaß dabei empfinden, sich auch auf unattraktive aber wichtige Aufgaben zu fokussieren, statt sich der Ablenkung durch Instant-Erfolge hinzugeben. Wichtig ist dabei, sich eine 5-Punkte-Routine zurecht zu legen und diese diszipliniert zu befolgen. Sie besteht aus folgenden Punkten:
1. – SEIEN SIE AN ALLEM UND JEDEM INTERESSIERT /// 2. – GEBEN SIE DEN TAKT VOR /// 3. – BEWAHREN SIE HALTUNG /// 4. – BEOBACHTEN SIE SITUATIONEN UND REAKTIONEN /// 5. – LÄCHELN SIE (… OFFEN ODER IN SICH HINEIN)
Denn wenn Sie 1. an allem und jedem interessiert sind, werden Sie Ansatzpunkte für Gebiete finden, die sich mit ihren eigenen Interessen überschneiden. Das können Anregungen, Tipps oder Bemerkungen sein, die bei Ihnen zu Gedankenblitzen führen.
Wenn Sie zudem 2. der Taktgeber sind, haben Sie die Gelegenheit Tempi zu setzen und sich sprichwörtlich nicht „auf der Nase herumtanzen“ zu lassen. Zudem agieren Sie und reagieren nicht nur – überlassen Sie die Reaktion getrost den anderen.
3.: Eine Orthopädin sagte mir vor Jahren bei jedem Mal, als ich sie aufsuchte: „Bewahren Sie Haltung. Gehen Sie mit erhobenem Haupt, drücken Sie die Wrbelsäule durch. Das ist gut für den Körper und die Körpersprache.“ – Was soll cih sagen: die Frau hat/te recht. Immer wenn ich mich daran erinnere und es praktiziere, fühle ich mich größer und stärker und habe das Gefühl, ebenso wahrgenommen zu werden.
4. ist an 1. angelehnt und doch etwas Eigenständiges: Situationen zu beobachten und Reaktionen, führt dazu, Dinge / Abläufe / Entwicklungen einschätzen zu lernen und sie zu bewerten. Ohne an allem und jedem interessiert zu sein, funktioniert 4. nicht. Umgekehrt ist 4. auch eine Art Feedback für den 1. Routine-Punkt.
5. ist ein Tipp Vera F. Birkenbihls (… auf die ich mich ja neben der anderen „Grand Dame“ des deutschen Trainings und Coachings, Sabine Asgodom, öfters in meinen Artikeln beziehe). VFB hinterließ uns Individuen ein einfaches Rezept, um sich besser zu fühlen: man / frau solle eine „Grinseminute“ lang lächeln – selbst wenn einem nicht danach ist. Ihre Weisheit war: Jedes Mal, wenn ein Mensch sich 60 Sekunden lang dazu zwingt, den Mund zu einem Grinsen zu verziehen oder eben diese 60 Sekunden lang in sich hineinlächelt, denkt der Körper, es ginge einem gut und produziert im Gehirn Hormone, die Freude erzeugen.
Setzt das Grinsen nach einer Minute aus, bleibt oft ein Lächeln im Gesicht zurück; gibt man das fingierte innere Lächeln nach einer Minute auf, bleibt trotzdem ein gutes Gefühl zurück. Birkenbihl sagte aber auch, dass man das nicht austricksen könne, denn man brauche „… tatsächlich 60 Sekunden am Stück, nicht zehnmal sechs Sekunden, das nützt nichts.“ – Probieren Sie 5. doch einfach mal aus.
Geschrieben von und © 2020 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining