Donald J. Trump ist auch als über 75-Jähriger immer noch ein prolliger Großkotz, eher ein Bulldozer als eine Dampfwalze, jemand, der es „ganz“ nach oben schaffen will und hierbei noch nicht einmal zufrieden war, Präsident einer Supermacht zu sein, denn eines ist ihm bisher nie gelungen: er wäre sooo gerne Teil der High Society – von ihr anerkannt und geachtet. Auch wenn ich meine ganz eigene Meinung zur elitären Eigensicht der sog. oberen Zehntausend pflege, habe ich so eine Ahnung, weshalb Mr. Trump sein großes Ziel nie schaffen wird. Der Mann hat einfach nicht verstanden, was Understatement ist und wie es funktioniert. Dabei gibt es sogar unterschiedlichste Facetten des Understatements.
Nachdem Jahrzehnte lang die Logos auf Basecaps Ausdruck bestimmter Überzeugungen waren, setzen viele Menschen heute ein Statement durch das Tragen von Kappen ohne solche Logo-Aussagen. Allerdings sind die wirklich angesagten Unterstatement-Caps nicht solche von amazon, Kick oder Primark für weniger als 10 Euro – im Gegenteil: es sind Designermützen für richtig viel Geld. Ohne Logo heißt natürlich auch, dass der Gegenüber nicht genau wissen kann, von wem das gute Stück denn nun wirklich ist und was es kostet. So geht die bewusste Untertreibung heute – ich nenne sie hier mal Understatement 1.0 – und sie ist eng verwandt mit der litótēs (altgriech. Begriff für „Schlichtheit, Zurückhaltung“), die seit jeher immer auch ein wenig an die Ironie angebunden war.

Ich glaube, es war der Journalist und Schriftsteller Charles Palahniuk, der Mitte der 1990er in seinem Psycho-Roman „Fight Club“ darlegte, wie lächerlich es für Männer ist, Unterhosen mit dem Namen eines anderen Mannes („Calvin Klein“) zu tragen: “You are not the car you drive, not the contents of your wallet, not your fucking khaki pants.“ Das war der entscheidende Satz.* Wer das verstanden hat, der drückt beispielsweise seinen Reichtum subtil aus. So gibt es bereits seit Jahren teuerste Ringe, bei denen Brillanten auf der Innenseite der Ringschiene angebracht sind. Niemand kann sie sehen, nur der Träger weiß, was Sache ist. Man erklärte mir, der Sinn und Zweck bestünde darin, dass manche Menschen gerne einen Diamanten im RIng haben wollen, sich aber nicht trauten, den Stein offen sichtbar für alle zu tragen – Männer oft aus dem Glauben heraus, als schwul abgestempelt zu werden. Wie auch immer, aber so geht Understatement 2.0.
Die Kategorie Understatement 3.0 wenden Menschen an, die statt eines Ferrari einen unscheinbaren Retro-Volkswagen fahren – aber in der getunten Luxusversion für 100.000 Euro. Oder solche, die sich die nur-einfach-schwarzen Turnschuhe von Sylvester Stallone, bekannt als Rocky Balboa, für satte 1.550 Euro von Loro Piana leisten, „… aus weichem Kalbsveloursleder mit wasser- und fleckenabweisender Behandlung. Sportlich und aktuell, veredelt durch das Innenfutter aus Nutriapelz …“ Kann alles richtig sein, aber am Ende sind sie auch nur einfach kaviar-schwarz. Seinen unscheinbaren grauen Jogginganzug gibt es übrigens für Damen bei Olivia von Halle für 1.420 Euro („… aus einer doppelseitigen Seidenmischung mit Kaschmiranteil, die wunderbar fällt und sich auch angenehm weich anfühlt …“). – If you know you know …

Der Begriff Understatement ist inzwischen auch zu einer Metapher geworden für stylische Aussagen, die weniger zeigen sollen, als es in der Realität der Fall wäre. Wie die SKL-Millionengewinnerin, die Anfang der 2000er Jahre bei RTL zu Günter Jauch trocken sagte, das sei ja „ein ganz hübsches Sümmchen“ geworden – ganz großes Kino, nominiert in der Kategorie „Schwarzer Humor und Understatement 4.0“. Das soll im übrigen auch bei der Optik des Auftretens klappen, wie bei dem Landwirtschaftsminister der zu seiner Ernennung zwischen den anderen noblen Staatskarossen auf dem Fahrrad bei Schloß Bellevue vorfährt und sich anschließend die Urkunde für die Fotografen demonstrativ auf den Gepäckträger klemmt. Dieses Szenario verdeutlicht eine weitere Form des Understatements: Selbstdarstellung, die eine Art der Lebensführung symbolisieren soll, bei der zur Inszenierung eines ‚perfekten Moments‘ bewusst auf gewisse Attribute und Statussymbole verzichtet wird. Ich an seiner Stelle hätte freilich den E-Traktor gewählt.
Überzeugend vorgelebt werden kann dieses Understatement aber nur dann, wenn das bewusste Aufgeben von Privilegien die durchgängige Lebensform wäre. Dass eine vorgespiegelte Lebensart auch den gegenteiligen Effekt haben kann, sieht man dann, wenn eine Umweltpolitikerin ihr Elektroauto via Diesel-Transporter in die Nähe eines Wahlkampfauftritts transportieren lässt, um so bei ihrer Vorfahrt auf die Wählerinnen und Wähler authentischer zu wirken, oder der Chef einer karitativen Vereinigung sich aus deren Finanzmitteln die eigene Wohnung sanieren lässt. Fliegt so etwas auf, dann platzt die Understatement 4.0-Blase und der Imageschaden ist immens.

Richtig und kalkuliert angewandt kann bewusste Untertreibung jedoch zum (beabsichtigten) Unterschätzen einer Person führen – Facette 5.0: das Underacting. Im Unterschied zum „normalen“ Understatement ist die künstlerische Untertreibung, auch „Unterspielen“ genannt, eine beispielsweise von Musikern häufig angewandte Methode, nur nicht zuviel vom eigenen Können zu zeigen. Die NDW-Band Trio um Stephan Remmler („Da, da, da“) bestand aus sehr guten Musikern, die sich bei ihrer Performance meist auf drei Gitarren- bzw. Keyboard-Akkorde oder bei den Texten auf einfachste Phrasen beschränkte und sich auch in ihren Gesten, Gebärden oder der Mimik nur minimalistisch ausdrückte. Und genau dieses Image war es, das die Aufmerksamkeit der Fans erregte und zum Erfolg beitrug**. (Nebenbei bemerkt funktioniert in der Musikbranche auch das Gegenstück Overacting. Einer der extrovertiertesten deutschen Vertreter des Overactings sind die lieben Jungs von Rammstein, die alles tun, um wie böse Buben zu wirken, dabei keine Tabus auslassen und Grenzen überschreiten um skandalös zu erscheinen.)***
Doch zurück zum Thema: Wenn es einem Menschen gelingt, die eigenen Statussymbole nicht unnötig zu zeigen, wenn er nach außen einen einfachen Lebensstil vorlebt und nicht jeden Tag aufs Neue mit dem eigenen Reichtum, seiner männlichen Kraft / der Weiblichkeit oder vielleicht der größten Menschenmenge die jemals zu was-auch-immer geströmt sei, prahlt, dann wirken er oder sie auf andere zurückhaltend. Overacting kann wirken, underacting sowieso, aber zu prahlen niemals. Es erhöht möglicherweise für eine bestimmte Zeitdauer die Aufmerksamkeit der Außenstehenden, wird aber niemals dazu führen, von der sog. High Society akzeptiert zu werden. Eine sich verstärkende negative Wirkung ist hier viel wahrscheinlicher. Man nehme Beispiel den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Geschrieben von und © 2022 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining
* = Mein Lieblings-Zitat von Palahniuk ist übrigens dieses: „Big Brother beobachtet uns nicht. Er singt und tanzt, zieht Kaninchen aus einem Hut. Big Brother ist jeden Moment unserer Zeit damit beschäftigt, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und sorgt dafür, dass wir das Wesentliche nicht sehen. Er möchte sicherstellen, dass wir vollständig abgelenkt sind.”
** = Trio war zuerst ein Duo aus Stephan Remmler und Gert „Kralle“ Krawinkel, die gemeinsam studierten und Ende der 1960er Jahre eine eigene Band mit dem Namen „Just Us“ hatten. Der Sänger und der Gitarrist waren in den 1970er Jahren verbeamtete Lehrer, als sie auf Schlagzeuger Peter Behrens trafen, der die Mailänder Clownschule besucht hatte. Freunde von Ihnen legten Geld zusammen und gründeten die Just Us Music Productions GmbH, da sie überzeugt waren, dass das Trio mittelfristig Erfolg haben würde. Gemeinsam erdachte man das Minimal-Konzept der Band, was auch zu dem Bandnamen führte. Als Musikproduzenten holte man keinen geringeren als den Beatles-Grafiker („Revolver“, „Anthologie“) und Rockbassisten (u.a. bei John Lennons, George Harrisons und Ringo Stars Solo-Projekten tätig) Klaus Voormann.
*** = Underacting / Overacting darf man nicht mit Imageacting verwechseln. Hier steht allein die Inszenierung im Vordergrund. Mit dem Komiker, Kabarettisten und Schriftsteller Helge Schneider hatte ich lange Zeit Akzeptanzprobleme, bis er eines Tages in einem Interview verriet, dass er schon als Kind Clown werden wollte und das heute zu einem Hauptberuf gemacht hat. Getreu dem Sinnspruch „If you know you know“ habe ich seitdem Spaß an dem, was Herr Schneider macht.