Rainer W. Sauer ist seit 1975 in und mit der Verwaltung tätig. Er zählt zu den erfahrensten Verwaltungstrainern in Deutschland und ist zudem Team- und Individual-Coach. Sauer arbeitet auch als Radiomoderator, Vortrags- bzw. Keynote-Redner, entwickelt mit seinem Team Trainingsmodelle und hat 2020 CBQ Verwaltungstraining gegründet, um Führungskräfte wie Mitarbeitende der Öffentlichen Verwaltung optimal zu trainieren bzw. zu coachen. /// Anhand vielfältiger Praxisbeispiele hilft er in diesem Blog Verwaltungen dabei, Optionen zu entwickeln und diese dann in praxisorientierte Ergebnisse zu wandeln, eigene Stärken auszubauen und sinnvoll zu handeln. Dabei regt er an, keine Ausreden gelten zu lassen, Eigenverantwortung zu übernehmen und lateral zu denken. /// Sein Charisma ist auch über den Äther und im Netz zu erleben: Anfang der 2000er Jahre wurde Rainer W. Sauer für seine Radiosendungen mit mehreren Hörfunkpreisen ausgezeichnet.
„Der Populismus schaut dem Volk aufs Maul, um ihm nach dem Mund zu reden.“ (Kuno Roth)
Die Einwohnerinnen und Einwohner unserer Hauptstadt haben sich im Rahmen eines Volksentscheids am Tag der Bundestagswahl 2021 mit einem klaren JA hinter das Anliegen der Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ gestellt. Und zwar so eindeutig, dass der neue Senat dies wohl kaum wird ignorieren können.
Die berechtigte Frage „Wie konnte es soweit kommen?“ ist dabei genauso wie beim Beispiel des Bahnhofn „Stuttgart 21“ leicht zu beantworten: Es ist das neue Selbstverständnis der Bürger, „denen da oben“ mal richtig die Meinung zu sagen, wenn Regierende deren Anliegen unterschätzen und es versäumen, die Menschen konsequent oder ausreichend aufzuklären. Und obwohl die Zeiten der kalten Enteignung schon lange vorbei sind, ist „enteignen“ gleichwohl ein großes Wort geblieben, das denen, die hiervon nicht betroffen sein werden, mitunter große Sympathie antlocken kann, wie das berliner Beispiel zeigt.
Berlin war einmal „arm, aber sexy“ (Klaus Wowereit propagierte dies Ende 2003) und ist knapp zwei Jahrzehnte später „pleite, aber geil“. Nun funktionieren Enteignungen im 21. Jahrhundert nur mit immensem finanziellen Aufwand, denn das Grundgesetz regelt, dass die Betroffenen der Enteignung entschädigt werden müssen. In einer ersten Schätzung aus dem Jahre 2020 ging der Berliner Senat von Belastungen aus (dies noch ohne Einrechnung der Entrichtung von Grunderwerbssteuern) in Höhe von 30 bis 40 Milliarden Euro, wenn dem Bürgerentscheid entsprochen werden müsste – wobei Einnahmeverluste durch den Ausfall der Grundsteuer (= Prinzip „Gläubiger und Schuldner sind die gleiche Person“) noch gar nicht eingerechnet waren.
Populistisch hatte die „Deutsche Wohnen & Co enteignen“-Initiative anlässlich des Volksentscheids ihren UnterstützerInnen suggeriert, man könne doch die betroffenen Unternehmen (Zitat) „deutlich unter Marktwert“ entschädigen; von rund 10 Milliarden Euro einzusparender Entschädigungskosten war die Rede – was übrigens dem Bruttoinlandsprodukt eines Landes wie Nicaragua entspräche. Gleichwohl wäre selbst eine zu zahlende korrigierte Gesamtenteignungssumme von 30 Milliarden Euro für das chronisch blanke Land Berlin eine finanzieller Ritt in den Abgrund.
Hinzu kommt der Steuermittel-Wahnsinn, dass ein Teil der zu übernehmenden Wohneinheiten zuvor bereits in kommunaler Hand gewesen war und erst vor wenigen Jahren, weil berlin „sexy, aber arm“ war, an Deutschen Wohnen & Co. zu vergleichsweise niedrigen Preisen abgegeben hatten. Nun sind die Immobilienpreise in Berlin explodiert und die drei landeseigenen Gesellschaften Berlinovo, Degewo und Howoge müssen die Übernahme nach der Enteignung mit Milliarden-Krediten finanzieren – Geld, das sie dringend für Sanierungen bräuchten.
Abgesehen davon, dass das Berliner Bürgervotum von 56,4 Prozent der Initiative Wucht verleiht (auch weil man angesichts von unter 40 Prozent ablehnender Stimmen schwerlich von einem Patt der beiden Lager sprechen kann) beantwortet es auch ein klein wenig die Frage, ob es etwas gibt, das diesen Protest gegen „die da oben“ mit anderen Bürgerbewegungen in Deutschland verbindet, beispielsweise den Protest gegen Stuttgart 21, Demos gegen Corona-Restriktionen, Zensur oder solche für konsequenten Klimaschutz oder gegen Stromtrassen, für autofreie Innenstädte oder das ‚Recht auf Stadt‘? – Ich sage: Ja. Es ist das Gefühl „Wir lassen nicht mehr alles mit uns machen“ mit der Betonung auf WIR und UNS.
Gegen eine Sache zu sein, vereint. Das war schon in den 1970er Jahren im Westen Deutschlands so, als der Kampf gegen den damals aktuellen Abtreibungs-Paragraphen 218 sowohl diejengen in sich vereinte, denen der Paragraph nicht weit genug ging, als auch die Gruppen, die ihn gestichen sehen wollten. Gegen etwas lässt sich also immer schnell eine Allianz schmieden. Nur, wenn das Ziel erreicht ist, spalten sich die Gegner ebenso schnell in ihre jeweiligen Interessenvertretungen auf, sodass anschließend kaum noch eine Mehrheit FÜR etwas erreicht werden kann.
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Geschrieben von und © 2021 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining