„Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.“ (Antoine de Saint-Exupéry)
In einigen Verwaltungstrainingsprogrammen, die ich selbst durchführe, steht unter anderem auch Tarot-Kartenlegen auf der Agenda – meist anlässlich eines Coachings. Mit Kartenlegen verbinden viele von uns eine über Gebühr geschminkte Dame, die in einem Zelt oder einem verdunkelten Zimmer Menschen die Zukunft wahrsagt. Ein Zelt oder ein verdunkeltes Zimmer habe ich nicht und kann auch mit keiner Wahrsagerin dienen. Auch liegt mein Fokus beim Tarot-Kartenlegen weder auf Liebesvorhersagen, beruflichen Perspektiven, Familienplanung oder dem Rat zu überstürzten Ortswechseln sondern, neben ein wenig Kurzweil während eines anstrengenen Coachings, auf dem Befassen mit einer Sache, die ein Mensch möglicherweise deshalb ablehnt, weil er sie für alberne Scharlatanerei hält oder als unheilbringend ansieht.
Aber selbst in dem Fall, dass ein Coachee das Kartenlegen schätzt, weil er / sie sich hiervon echte Lebenstipps erhofft, macht der von mir angewandte Umgang mit Tarotkarten tieferen Sinn. Mir geht es nämlich darum, meine Klienten aufmerksam zu beobachten, wie sie sich fühlen und verhalten, wenn die Karten ihnen etwas vorher“sagen“. Ist das, was auf den Tisch kommt, für sie eine Option oder keine? Was erhoffen Sie sich oder was befürchten sie und welche Fragen kommen auf?
Ein Coach arbeitet stes lösungsorientiert und wendet den Blick seines Coachees weg vom Problem und führt ihn zur Suche nach einer Lösung. In diesem Zusammenhang hielt ich die kleine Exkursion ins Kartenlegen (da ich ja auch Zukunfts.Coach bin) für das Coaching-Geschehen interessant, weil es immer darum geht, was der Klient von der Zukunft erwartet. Ähnlich wie beim Prinzip des „Devil’s Advocate“ ist die Anregung einer inneren oder offenen Auseinandersetzung über Dinge, die der eine Coachee im Grunde ablehnt oder die andere Klientin ungefiltert für plausibel hält. Dafür muss man noch nicht einnmal lernen, die Sprache der Karten zu verstehen. Zum bessern Verständnis gebe ich an dieser Stelle gleichwohl einen kurzen Überblick:
Im Tarot gibt es verschiedene Kartenlege-Prinzipien, wovon bei dem „Großen Arkana“ (GA) allein die Trumpfkarten eine Rolle spielen, wobei es sich namentlich um die eingedeutschte Form der Mehrzahl des lateinischen Wortes „arcanum“ (= Geheimnis) handelt. Wichtig zu wissen ist: Die Sinnbilder unterscheiden sich teilweise völlig von den Bildern auf den 22 Karten des GA, die seit dem 16. Jahrhundert nummeriert sind, wobei die Karte des Narren (= Er steht für jugendliche Unwissenheit und Sorglosigkeit) traditionell entweder keine Zahl trägt oder die Null. Die Sinnbedeutung der weiteren Karten ist wie folgt:

I – Der Magier: Er steht für Selbstvertrauen und repräsentiert den Willen, selbst Undenkbares zu ermöglichen. /// II – Die Hohepriesterin: Sie verkörpert Weisheit, Intuition und Erleuchtung und erteilt Ratschläge. /// III – Die Herrscherin: Sie steht für die Liebe und die Schönheit sowie die Fruchtbarkeit, aber repräsentiert auch Selbstgefälligkeit. (Anmerkung: Man sieht daran, dass Tarot-Karten einer extrem patriarchalischen Zeit entstammen.) /// IV – Der Herrscher: Er trägt Macht und Verantwortung, verkörpert Kraft aber auch die Fähigkeit, sich neuen Herausforderungen zu stellen. /// V – Der Hohe Priester / Papst: Er steht für die Suche nach Sinn und Wahrheit im Leben, vereint außerdem Weisheit und Erfahrung. /// VI – Die Liebenden: Sie stehen für Beziehungen (Anmerkung: nicht nur zwischen Mann und Frau), aber auch die Abhängigkeit von anderen Menschen. /// VII – Der Wagen: Er ist zugleich ein Symbol für Zielstrebigkeit und Aufbruchstimmung, kann aber auch Stillstand repräsentieren, da die widersprüchlichen Zugtiere oft nur schwer zu bändigen sind.
VIII – Die Kraft (= Energie und körperliche Gesundheit, Mut und Selbstvertrauen) /// IX – Der Eremit (= Zurückgezogenheit und Einsamkeit, Konzentration und innere Ruhe) /// X – Das Rad des Schicksals: (= die neugierige Lust darauf, die Welt zu entdecken und mit den Herausforderungen des Lebens fertig zu werden) /// XI – Die Gerechtigkeit (= Fairness und Verantwortung bei Entscheidungen, massvolle Lebensführung) /// XII – Der Aufgehängte (= Er ist nicht tot, sondern betrachtet die Welt aus einem anderen Blickwinkel) /// XIII – Der Tod (= Wandel, Abschied, Ende) /// XIV – Die Mässigkeit (= Geduld und Ausgewogenheit).
XV – Der Teufel: Er repräsentiert das Totale und Widerspruchslose, bringt aber auch Licht ins Dunkel. /// XVI – Der Turm: Er steht für die Sturheit und festgefahrene Meinungen bzw. Weltbilder, kann aber auch dabei helfen, Neues und Unbekanntes zu erlernen. /// XVII – Der Stern: Ein wunderbares Zeichen für Heilung und Hoffnung, Klarheit und Offenheit sowie Erleuchtung. /// XVIII – Der Mond: Er repäsentiert das Licht und das Dunkle des Unterbewusstseins, also die Schattenseiten der Seele wie Ängste und Furcht, aber auch das Helle im menschlichen Wesen, also Ziele, Wünsche und Visionen. /// XIX – Die Sonne: Sie schenkt Wärme und fördert den Idealismus sowie das Streben nach höheren Dingen und Erneuerung. /// XX – Das Gericht: Es bereinigt Konflikte und löst Probleme, steht somit zugleich für Neuanfang wie für Abschied. /// XI – Die Welt: Auf ihr kann alles Positive möglich werden, wie Erfolg und das Erreichen von Zielen.
Während beim klassischen Verwaltungstraining darauf liegt, anderen Menschen Ratschläge oder Tipps zu geben, stellt ein Coach in seinem lösungsorientierten Gesprächen die eigenen Lösungswege hinten an. Deshalb soll die Arbeit mit den Tarotkarten den Coachee während der Interventionsphase dabei unterstützen, emotionale Intelligenz dadurch zu wecken, dass man die innere Stimme besser hören und die Selbstreflexion stärken kann. Da dies aber nur eine Etappe auf dem Weg zum Abschluss ist, dauert die Kartenlege-Sequenz im Vergleich mit der Zeitdauer des anderen Repertoires an Techniken nicht lange, stellt also nur eine kleine Episode dar.

Dabei stellten sich die Coachees vor dem Kartenlegen einer bestimmten Situation, auf die man / frau / das Team eine Antwort haben möchte. Dann werden die 22 Tarotkarten gemischt und ich breite sie verdeckt aufgefächert aus. Beim „Großen Arkana“ mit der Kreuz-Methode werden vier Karten gezogen und weiterhin verdeckt aufeinander gelegt. Anschließend werden die Karten aufgedeckt und wie folgt kreuzförmig angeordnet: die erste Karte links, die zweite Karte rechts, die dritte Karte oben und die vierte Karte unten. Die linke Karte steht dabei für die momentane Situation, die rechte für das, was im Moment unwichtig ist, die obere soll zeigen was im Moment beachtet werden soll und ist somit die wichtigste Karte, während die untere das repräsentierne soll, was noch kommen wird.
Auf dem Foto zum Artikel (… das übrigen bei einem „echten“ Team-Coaching entstanden ist …) sieht man als Gegenwart den Teufel, als unwichtig die Gerechtigkeit, als bedeutsamtste Karte die Kraft und als Zukunftsaussicht die Herrscherin. Zuvor festgelegte Aufgabenstellung war die Frage: „Wie geht es mit meiner / unserer Abteilung weiter?“ und die drei Optionen waren: a) Wir wechseln in ein anderes Dezernat, b) wir verbleiben in der bisherigen Struktur, c) wir bekommen einen neuen Leiter / eine Leiterin. Interpretiert wurden die Karten wie folgt:
Der Teufel zeigt, dass die Aufgabenstellung vom Kartendeck „erkannt“ wurde, denn er bringt Licht ins Dunkel. Die Kraft gibt dem Team Energie, Mut und Selbstvertrauen und „körperliche Gesundheit“, was bedeutet dass „wir“ keinen Stress haben werden. Die Herrscherin zeigt, dass liebevoll mit dem Team umgegangen wird und es eine fruchtbare Zusammenarbeit geben wird. Dass es bei der ganzen Aktion gerecht zugeht, ist gar nicht so wichtig.
Man sieht: Eine finale Interpretation gibt es nicht, denn es geht ja beim Tarot allgemein nicht darum, die Zukunft vorauszusagen. Die Karten sollen lediglich Einblicke in das eigene Bewusstsein liefern. Es gibt also keinen Grund, nach dem Kartenlegen das Land überstürzt zu verlassen, denn die Erkenntnis steckt nicht in den Kartenbildern, sondern in einem Menschen selbst. Und da ich als Coach die weiteren Gespräche wieder lösungsorientiert führe, kann ich die gewonnenen Erkenntnisse in den Kontext mit den körpersprachlichen Signale des Coachees setzen, sie wahrnehmen, zurückmelden und angemessen im Sinne der Problemlösung darauf reagieren.
PS: Vor 150 Jahren und mit etwas professionelleren, bedeutungsschwangeren Worten plus einem Zelt und einer Glaskugel hätte ich mit dieser eher unbestimmten Weissagung (denn es ging ja um eine konkrete Frage) möglicherweise eine Menge Geld verdienen können. Und bis sich herausgestellt hätte, wie es wirklich laufen wird, wäre ich schon in die nächste Stadt weitergezogen gewesen. 🙂
Geschrieben und © 2019 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining