MORPHING VS. MOBBING | Kreative Reaktionen im Psychokrieg

„Es gibt etwas Schlimmeres als zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort zu sein: Zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.“ (Rainer W. Sauer)

Ich bin nun wirklich kein böser Mensch, bin keiner, der seine Mitmenschen absichtlich ärgert oder gar als Bösewicht tyrannisiert. Eher sehe ich mich „edel, hülfreich und gut“, wie es Johann Wolfgang von Goethe einst beschrieben hat. Und trotzdem halte mir einen Moment lang (…er dauert noch an…) der Ruf nach, ich sei ein Minenleger. Das war in den 1980er Jahren des letzten Jahrtausends – ja, so alt bin ich schon – und stammte von einem damaligen Arbeitskollegen, der in unserer Abteilung als Nervensäge bekannt war. Und immer, wenn er mich nervte, hatte ich „one mor thing“, wie es Steve Jobs ausdrückte, also „eine kleine Überraschung“ für ihn im Gepäck. Ich stritt damals den „Minenleger“-Vorwurf selbstredend vehement ab. Alter schützt aber bekanntlich vor Klugheit nicht und was soll ich Ihnen sagen: der Mann hatte irgendwie recht.

Bevor Sie nun sagen „Der Herr Sauer – nie hätte ich so etwas von dem gedacht…“ und empört zu lesen aufhören, mir die virtuelle Freundschaft kündigen oder mich als Unsympath abstempeln, möchte ich Ihnen ein paar Beispiele dafür geben, weshalb ich gelegentlich kleine „Minen“ lege und welch subtiler Art diese sind. Meistens befand ich mich in einem Psychokrieg und im Krieg wie in der Liebe ist ja bekanntlich alles erlaubt. Ausgangspunkt war zudem niemals eine Situation, in der eine Reaktion meinerseits nicht zu erwarten gewesen wäre. Im Grunde sind es ja auch gar keine Minen sondern eher kreative Reaktionen im Nahkampf oder „MORPHING VS. MOBBING“, wie ich dieses Trainingsmodul genannt habe, mit dem ein Mensch lernt, sich vom Opfer zum Handelnden zu verwandeln.

Beispiel 1 betrifft Frau X., eine frühere Chefin, die mir hin und wieder übel mitspielte, wobei ich Ihnen die Details erspare. So wurde ich mehr als einmal am Freitagmittag darüber informiert, dass ich am Montag zum Gespräch bei ihr erscheinen solle – natürlich ohne dass gesagt wurde, um was es gehen soll. Ein klassischer Fall also aus dem verwaltungsinternen Hinterlist-Knigge: das Gegenüber zermartert sich drei Tage lang das Hirn, was nun wieder kommen wird und kann sich noch nicht einmal auf das Gespräch vorbereiten, wohingegen der Initiator (m/w/d) bis zur letzten Sekunde an den Details feilen kann, um sein Gegenüber zu attackieren. Regelmäßiges Ergebnis bei mir: ich bekam eine Strafe (Ermahnung, Verweis, Gespräch mit dem Personalleiter, blauer Brief für die Eltern etc.), gegen die ich mich zwar hinterher stets zu wehren wusste, aber das Ziel, mir das Wochenende zu vermiesen, war erreicht und Frau X. fühlte sich für ein paar Minuten ein klein wenig besser in ihrer Lebenslage. Soll ja auch eine Art der psychologischen Selbsttherapie sein. Kann aber schnell zur Abhängigkeit mit hohem Mobbing-Konsum führen.

Ich lasse hier einige Zwischenschritte aus, vergesse aber nicht zu erwähnen, dass ich natürlich immer das gemacht habe, was man ich solchen Situationen stets tun soll: alle Vorfälle schriftlich mit ZDF dokumentieren (also Zahlen/Daten/Fakten), sich nie in die Ecke drängen lassen und die Hände stets sauber halten. Letzteres bedeutete bei mir, dass ich mich bereits in sicheren Gewässern befand, wenn meine Minen explodierten.

Und so begab es sich, dass meine Chefin irgendwann einen unverzeihlichen Fehler beging: Die Dame gab an jenem Tag eine E-Mail des Bürgermeisters, die dieser ihr mit vertraulichem Inhalt geschrieben hatte, an alle ihre Mitarbeitenden weiter, bevor sie diese in einer betrieblichen Angelegenheit, die ihr wichtig war, zu einem Meeting zusammentrommelte. Ich wiederum befand mich zu diesem Zeitpunkt zufällig am richtigen Ort und konnte den persönlichen Referenten des Bürgermeisters fragen, ob denn sein Chef auch zu dem Meeting kommen würde, da Frau X. doch dessen E-Mail an alle Beschäftigten weitergeleitet hatte. Dann begab ich mich zum Meeting, um pünktlich dort zu sein.

Als Frau X. gerade alle Mitarbeitenden begrüßt hatte und begann, ihre Sicht zu anstehenden Organisationsänderungen zu erläutern, öffnete sich die Tür und der Bürgermeister – dem man anmerkte, dass er schnell zu Fuß herbeigeilt war, so außer Atem war er – übernahm die Veranstaltung und legte seine Positionen dar. In den Wochen danach, während Frau X. immer noch ihr Hirn zermarterte, welches ihrer knapp 60 Schäfchen den Bürgermeister informiert hatte (denn sie kämpfte nicht nur unfair gegen mich allein), braute sich über ihr großes Unheil zusammen und wenige Monate später wechselte sie in eine Kleinstadt ins Badische.

Ihre Aktion war ein persönlicher Fehler, der sich jedoch ohne mein Eingreifen ebenso schnell wieder verflüchtigt hätte, wie er von ihr begangen worden war. So aber machte sie sich ihre ambitionierten Aufstiegspläne selbst zunichte, während ich nach dem alten Motto von Aristoteles handelte: „Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel richtig setzen.“

Oder es gab im Beispiel 2 – um bei meinen Vorgesetzten aus über 45 Verwaltungsjahren zu bleiben (und da gab es gute ebenso wie durchtriebene) – jemanden, den ich hier Monsieur Napoléon nenne, stattliche 1,59 Meter groß und wie viele Männer ähnlicher Körperdimension mit einem umso höheren Ego ausgestattet. Das wiederum führte dazu, dass er nur zu gerne cholerisch wurde, wenn die Dinge nicht exakt so gemacht wurden, wie er es in unzähligen Anweisungen festgelegt hatte. Und Napoléon fuhr seinen Untertanen in der Öffentlichkeit immer wieder gerne über den Mund oder pikste sie mit dem Ellenbogen in die Seite, wenn er dachte, dass er etwas besser weiß, und wenn einer seiner Alleingänge dann trotzdem einmal schiefging, nutzte er einen weiteren Klassiker aus dem verwaltungsinternen Hinterlist-Knigge: man weise alle Kritik von sich, suche Schuldige, bestrafe die Unschuldigen und zeichne die Unbeteiligten aus.

Eines Tages wagte ich es bei einer Dienstberatung aufzustehen, während er einen seiner beliebten Monologe hielt, was meinem Chef sichtlich missfiel. Jedenfalls sagte er zu mir: „Die paar Minuten können Sie wohl noch aushalten.“ Doch ich wollte gar nicht dorthin, wo er mich schon vor seinem geistigen Auge sitzen sah. Nein, ich hatte nur Augen für den Getränkeautomaten hinter ihm. Also ging ich an Napoléon vorbei, nahm sechs 10-Cent-Münzen, warf sie in den Automaten ein und drückte auf „Bouillon“. Die Münzen rollten, eine nach der anderen, klappernd herab, der Becher wurde zugeführt, ploppte nach unten, die Maschine ratterte und setzte an Kraftbrühenkonzentrat einzufüllen, es folgte zischend das heiße Wasser eher ein Piepton verkündete, dass der Becher befüllt war und entnommen werden konnte.

Als ich jedoch die nächsten sechs Münzen nach und nach einwarf, drehte sich der Feldherr mit hochrotem Kopf zu mir um und brüllte mich vor versammelter Mannschaft an. „Was bilden Sie sich eigentlich ein“ schnauzte er mich an, worauf ich leicht taumelnd zurücktrat, um mich an einem Schrank festzuhalten (man sollte bei mir niemals unterschätzen, dass ich zwei Jahre lang Mitglied im Theaterclub Elmar war), murmelte etwas von „Diabetes“, „Unterzuckerung“ und „dringend Nahrung zu mir nehmen“, worauf er in seiner Wut vergaß, dass er, wie alle anderen auch, von meiner Erkrankung wusste, und mir entgegenschleuderte: „Wenn Sie krank sind, dann müssen Sie mir das gefälligst vorher sagen.“

Der Personalrat blieb nicht allein mit seiner Beschwerde über diesen Umgangston, während ich mich langsam wieder erholte, aber bis heute auf eine Entschuldigung seinerseits warte. „Hat er sich wenigstens bei Ihnen entschuldigt?“ war ein Satz, den ich damals oft hörte und gerne gab ich hierauf Antwort. Später wechselte er das Metier und wurde Bürgermeister in Sachsen, beging aber den Fauxpas, Interessierten zeigen zu wollen, wie vorbildlich bei ihm ein Flüchtlingswohnheim geführt wird, ohne die Interessierten zuvor gefragt zu haben, weshalb sie Messerschnitt trugen und leichte Uniformen. Die machten dann Fotos in der Einrichtung und eindeutige Sprüche gegenüber den Asylsuchenden. Was soll ich sagen: Napoléon wollte seinen Fehler nicht eingestehen, versuchte sein Handeln mangels externer Schuldiger zu verteidigen … und musste ins Exil. Oder wie Oscar Wilde es ausdrückte: „Selbstsucht bedeutet nicht, leben wie man es wünscht, sondern von anderen verlangen, dass sie leben, wie man es erwartet.“

Dies sind nur zwei Beispiele, was Mensch tun kann, wenn er sich traut, kein Opfer mehr sein zu wollen. Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt, nur eines möchte ich Ihnen noch mit auf den Weg geben: Bewahren Sie Ruhe und vertrauen Sie darauf, dass Ihre „15 Minuten der süßen Rache“ noch kommen werden. – Warten Sie’s nur ab!

Geschrieben von und © 2018 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining

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