INSPIRATIONSKRAFT | Der Stoff aus dem die Träume sind (2/2)

„Ein wahrer Künster ist nicht der, der Inspiration findet, sondern einer, der andere inspiriert.“ (Salvador Dalí)

Nach meinen Betrachtungen zur „Inspiraterie“ und den Wegen, die Kreativität in der Verwaltung zu wecken, möchte ich jetzt der Frage, „Gibt es Kreativität auf Knopfdruck (oder kann man solches erlernen)?“ Die einfache Antwort zum ersten Halbsatz ist ein klares „Nein“. Ich behaupte aus meiner Erfahrung heraus, dass es schlichtweg unmöglich ist, in seinem Gehirn einen virtuellen Schalter zu betätigen und schwupps, die neuen Inspirationen fliegen einem im Schädel herum. Es ist nämlich genau dieser Wunsch, der im Grunde das gesamte Wesen von Kreativität missversteht. Ideen gibt es und kann es nicht sozusagen am Fließband geben. Erst wenn ein Mensch (oder – die Zukunft lässt sich nicht aufhalten – eine Künstliche Intelligenz) sich von diesem Denken löst, können sich Inspirationen ihren Weg bahnen und gute Ideen entstehen.

Wichtig zu wissen ist aber: Jeder Mensch kann sich die Ausgangsbedingungen schaffen, um kreativ zu sein. Meine Antwort auf Halbsatz 2 lautet daher: „Ja und Nein“, denn es kommt auch hier auf das Individuum an. Genauso, wie man sich, wenn man ein Team zusammenstellt, die besten Leute für einen Teilbereich der zu erledigenden Arbeit aussucht, muss man diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswählen, die am empfänglichsten für Inspirationen sind. Und die findet man leicht – auch in der Verwaltung.

Im ersten Teil des Artikels hatte ich erwähnt, dass Personen mit der größten Innovaionskraft stets kreative Querköpfe gewesen sind, die aneckten und als unbequem galten. Genauso ist es in der Verwaltung, nur mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass sie noch unter uns weilen. Die britische TV- und Radio-Moderatorin Jameela Jamil, die auch als Fotografin und Modescout arbeitet, gibt folgenden Rat: „Umgib dich mit Menschen, die dich inspirieren und lerne von ihnen so viel du kannst.“ Es ist also gar nicht schwer: Nicht erst mit einem Problem so intensiv beschäftigen, dass es nervt sondern die Menschen aus der näheren Arbeitsumgebung mit ins Boot holen, die als verschroben und schwierig gelten – allerdings erst nachdem man zuvor die Querulanten aussortiert hat.

Ich hatte, als ich zum ersten Mal eine Abteilungsleitung übernehmen durfte, einen Kollegen, den alle nur „den Spinner“ nannten. Der Ruf „Mit dem kann man nichts anfangen…“ ging ihm voraus, was mich dazu bewegte, nachzuforschen, was dieser Herr B. denn den ganzen Tag so trieb. Man hatte ihn schon vor meinem Einstieg in die Bauverwaltung für die Vorbereitung von Ausstellungen ausgewählt. Hier konnte er sich austoben. B. gestaltete bis zum jeweiligen Ausstellungbeginn Themen-Stellwände, was bei ihm nicht hieß, dass er alles daran legte, pünktlich fertig zu sein. So rannte er oft am Tag der Eröffnung (einmal sogar im Beisein eines Ministers) mit Farbtöpfen und Pinseln durch die Hallen und kleckste hier und da noch ein wenig nach, befestigte auch das eine oder andere Schilder auf denen „Frisch gestrichen“ geschrieben stand und sagte dann irgendwann befreit: „So, jetzt bin ich fertig.“

Ich setzte mir also die Aufgabe, auszutesten, welche Talente B. hatte und war erstaunt, dass er hervorragend freihändig 3D-Zeichnungen von Gebäuden anfertigen konnte. Als er für mich zehn Mappen für eine Tagung des Gemeinde- und Städtebundes in Jena anfertigen sollte, musste ich feststellen, dass nicht jede Mappe identisch war, sondern er sich die Freiheit genommen hatte, auf dem einen Bild, das ich ihm zu zeichnen vorgegeben hatte, ein Baum ergänzt worden war, auf dem anderen die Dachgaube eines Gebäudes andere Fenster hatte und so weiter. Darauf angesprochen sagte er mir: „Aber es tut doch niemandem weh und jeden der Herren hat so eine eigene Zeichnung, ein Unikat.“ – Darauf muss man erst einmal kommen.

Sie ahnen, auf was ich hinauswill. Mein Wunsch nach Zielstrebigkeit war Herrn B. zuwider, er wollte um jeden Preis kreativ sein. Es ist ein populärer Mythos, dass Kinder kreativer sind als Erwachsene. Kinder sind zwar grundsätzlich phantasievoll und probieren vieles aus, aber in den Mühlen der Verwaltung wären sie verloren – Herr B. dagegen nicht. Er brachte eine gewisse Grundkenntnis der strukturellen Abläufe mit und ich musste ihn, mit dem man ja bekanntlich „nichts anfangen“ konnte, nur so einsetzen, dass er auf keinen Fall Probleme verursachen konnte, dafür aber fortan mit seiner Phantasie und Kreativität für mich und den Bereich, den ich leiten durfte, problemlösend agierte. Denn die besten Ideen bauen immer auch auf viel Vorwissen auf. Die kreativsten Köpfe in der Geschichte der Menschheit, Naturwissenschaftler, Erfinder, Künstler Unternehmer, waren eben nicht nur Querköpfe sondern tatsächlich Experten auf ihrem Gebiet. Auch wenn es am Ende vielleicht so aussieht, als kämen Ideen aus heiterem Himmel auf uns zu sehe ich das eher mit Thomas Alva Edison, der gesagt hatte: „Genius ist zu 1% Inspiration und 99% Transpiration.“

Bis er sich in den Ruhestand verabschiedete, bestanden Herrn B. Aufgaben hauptsächlich darin, neue innovative Ideen zu entwickeln (beispielswiese für den Jenaer Fassadenpreis, für den er auch das bis heute genutzte Logo entwarf) oder sich Slogans auszudenken, für die man bei einer Werbeagentur teures Geld hätte bezahlen müssen („Wenn Du die Zeit hast, haben wir die Waldwege.“), die er uns aber sozusagen kostenlos lieferte. Bis zu seinem Ausscheiden wurde er außerdem anerkennend „unser Kreativdirektor“ genannt.

Die Fähigkeit, andere zu inspirieren ist darüber hinaus keine Frage von Begabung, Geschlecht oder Alter, sondern eine des Mutes. Heißt: Wenn Mitarbeitende unkreativ sind, dann sind sie unter Umständen nicht weniger einfallsreich, doch meistens trauen sie sich nicht, ihre Idee auszusprechen. Um in der Verwaltung kreative und innovative Optionen zu erreichen, ist es vor allem wichtig, den Gedankenaustausch zwischen unterschiedlichsten Verwaltungsbereichen zu fördern. Und man sollte ab und an Personen in den Denkprozess mit einbeziehen, die sich nicht mit der betreffenden Materie oder dem zu bewältigenden Problem nicht auskennen. Es gibt kein Projekt, welches ich in den vergangenen drei Jahrzehnten begleiten durfte, dass nicht von der Einbeziehung eines Nicht-Experten profitiert hätte. Und sei es nur, dass hier naiv Fragen gestellt wurden, die man sich sonst niemand mehr zu fragen traute.

Abschließend müssen personell wie verantwortungstechnisch Möglichkeit geschaffen werden, eine neue Idee oder ein anderes Konzept schnell auszuprobieren und zu testen. Nur hierdurch entsteht Feedback, das die Idee weiterführt. Denn ob sich ein innovatives Verwaltungskonzept letztlich durchsetzt oder nicht, hängt nicht von denjenigen ab, die es entwickelt hatten, sondern von den Bürgerinnen und Bürgern und von deren Akzeptanz.

Stelen wir uns noch einmal die Historie der öffentlichen Verwaltung vor. Wie sah eine gehirngerechte und kreativitätsfördernde Arbeitswelt im MIttelalter aus? Da gab es beispielsweise Klöster mit einer interessanten Infrastruktur. Es gab einen Kreuzgang als Raum für Begegnungen und Kommunikation. Von ihm zweigen die Schreibstuben ab, in denen man sich konzentrieren sollte. Und es gab einen Klostergarten, in dem man sich entspannen, nichts tun und den Gedanken freien Lauf lassen konnte – Stichwort „mind wandering“. Die Konzentration auf das Wesentliche in den Schreibstuben war hier ebenso wichtig wie der Austausch mit anderen.

Geschrieben von und © 2021 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining

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