Mein CBQ-Modul zur Pressearbeit in Verwaltungen hat auch immer einen Teilbereich, bei dem die Teilnehmerinnen eine wahre Begebenheit schildern sollen und dazu befragt werden (chronologisch vorwärts und rückwärts, ganz wie bei einem Polizeiverhör) und dann eine erfundene Geschichte vortragen müssen. Hier sind nämlich die Grenzen von „Die Geschichte muss nicht stimmen, sie muss sich nur gut anhören“, weil man die wahre Geschichte stets logisch erklären kann, sich bei der Wiederholung einer Lüge oder bei Halbwahrheiten dagegen schnell in Widersprüchen verheddert oder ins Stocken kommt.
Aber wie machen es die Profis, wenn sie der Öffentlichkeit nicht die ganze Wahrheit kundtun möchten? Nehrmen wie einmal Herrn Jens Spahn. Er und sein Ministerium wollen „volle Transparenz in einem geordneten Verfahren“ – so hatte es der Bundesgesundheitsminister während seiner Amtszeit immer wieder einmal erklärt. Und nur wenig später konnten die Menschen durchaus der Eindruck gewinnen, als seien den Worten Taten gefolgt. Ein ungewöhnlicher, ein nobler, ein ehrlicher Zug des Ministers, dachten viele. Wie Spahn gerade mit der „Transparenz“ umgegangen war: vorbildlich. Aber es wurden auch aus dem Parlament und von der Presse Fragen gestellt, die man im Grunde ebenso transparent hätte beantworten müssen – oder?
Und doch scheint Spahn vor allem gelegentlich Meister darin zu sein, echten Antworten auszuweichen und vor allem Allgemeinplätze zur Gesundheitspolitik zu bedienen. Zudem ist es auffällig, dass es oft, wenn es nach Anfragen von Bundestagsabgeordneten Interessantes zu berichen gab, die Auskünfte von Spahns Ministerium bereits in die Öffentlichkeit gelangten, bevor sie die Abgeordneten erhielten. Indem das Ministerium die Antworten so selbst nutzt, kann es sozusagen zuerst zu Wort kommen und bereits Wertungen vornehmen, noch bevor es evtl. Abgeordneten-Kritik gibt.
Nun ist Herr Spahn nicht der einzige Politiker mit einem Amt, der auf diese Weise Kritik an sich und seiner Arbeit schmälert. Es gibt eben „bestimmte Kanäle“ in die Öffentlichkeit, die die Verwaltung nutzt oder nutzen könnte, um so in einem besseren Licht zu erscheinen. Denn wer keinen Zugang zu diesen Kanälen hat, ist vom direkten Informationsfluss abgeschnitten und kann nur reagieren anstatt zu agieren. Politiker und deren PressesprecherInnen kommunizieren oft nur mit den Quellen, mit denen sie kommunizieren wollen. Dann braucht man / frau nur noch zu erkären, man werden in „voller Transparenz“ und einem „geordnete Verfahren“ der Öffentlichkeit berichten.
Die Champions League der dirigistischen Pressearbeit stellen aber Gutachten dar, wie ja beispielsweise auch der Erzbischof von Köln, Rainer Maria Kardinal Woelki belegt hatte. Phase 1 beginnt sozusagen mit der Qualifikationsphase, heißt: Wenn FragestellerInnen einfach nicht lockerlassen wollen, dann gibt es eine Ankündigung, Betroffene erst enmal um deren Einverständnis zu bitten – Fragen bleiben solange unbeantwortet. Liegen nicht alle Einwiiligungen vor, folgen in Phase 2 die Gruppenspiele: Mit oder ohne es öffentlich zu machen, wird eine Koryphäe von außerhalb mit einem Gutachten beauftragt um die „prozeduralen und materiellen Rahmenbedingungen“ zu klären, unter denen Auskünfte erteilt werden sollen / müssen / können (ähnlich der Erteilung einer gerichtlichen Aussagegenehmigung für Polizisten). Warum aber ein teures Gutachten, wenn z.B. Spahns Ministerium voller Juristen ist – man ahnt es bereits: wegen der Transparenz. Nicht um Zeit zu gewinnen oder dem ganzen Vorgehen im Nachinwien einen fachlichen Segen zu geben.
Hierauf folgt die Endrunde: Ein weiteres Gutachten zum fachlichen Aspekt liegt vor, kann aber nicht an die Öffentlichkeit gegeben werden, weil „es möglicherweise Datenschutzaspekte / – rechte verletzen“ würde. Ein finales Gutachten muss her und darin steht echdlich das drin, was der Verwaltung genehm ist. Dann gibt es hierüber noch ein vertrauliches Gespräch mit ausgewählten Journalisten samt ergänzenden Informationen, über die die Journalisten allerdings schweigen sollen. Die Vorzüge sind offenkundig: Noch während sich Parlamentarier und Öffentlichkeit erfreut über den überraschend frühen Zeitpunkt der Information zeigen, bringen die gut vorbereiteten Medien diese samt Sichtweisen und Einordnung des Ministers in die Öffentlichkeit – selbstredend ohne diesen als Informanten und Zitatgeber zu nennen.
In Champions League Finale ergibt sich in der Bundespressekonferenz ein Bild des Politikers / der Politikerin als Transparenzprofi, während es gleichzeitig so erscheint, als schwebe sie / er samt dem Ministerium neutral über den Dingen.