SCHALTER IM KOPF? (1) | Vom Umgang mit der Verwantwortungs-Angst

Im Rahmen seiner „Gehirnmanagement Live“-Seminare, Verwaltungstrainings und Coachings hat Rainer W. Sauer seit den 2000er-Jahren – basierend auf aktuellen Erkenntnissen aus Hirnforschung, Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften – die Grundlagen für sein Buch „SCHALTER IM KOPF? “ erarbeitet, wobei er die Forschungsergebnisse stets mit Beispielen aus dem täglichen Leben oder der Verwaltungsarbeit kombiniert. Er erklärt u.a. anhand praktischer Übungen sowie der von ihm entwickelten „Sch.i.K.“-Methode, wie wir unser Gehirn so umprogrammieren können, dass wir lernen mit Stress und Belastungen umzugehen, Angst und Ärger zu umgehen, das Selbstvertrauen zu stärken und die Motivation zu erhöhen. Das man dadurch am Ende auch noch zu besseren Lernergebnissen kommen kann, ist ein weiterer positiver Effekt.


„Es ist besser, unvollkommen zu starten, als perfekt zu zögern.“ (Bodo Schäfer)

Vorbemerkung: Viele meiner Artikel im CBQ-Blog gehen auf Texte zurück, die ich in den 1990er Jahren schrieb. Der nachfolgende ist von mir seither kaum verändert worden, selbst wenn es inzwschen vielleicht treffendere Beispiele für das, was er ausdrücken soll, geben sollte…

Bei den Olympischen Winterspielen 1994 in Lillehammer galt die Erfurterin Gunda Niemann als große Favoritin auf drei olympische Goldme­dallien im Eisschnellauf. Doch in ihrem ersten Rennen rutschte sie aus und stürzte. Fassungslos habe sie registrieren müssen, sagte sie später, dass andere Sportlerinnen die drei Medaillen umgehängt bekamen. Besonders bitter für sie: sämtlich mit Siegerzeiten, die Gunda Nie­mann im Training locker unterboten hatte. In ihrem nächsten Rennen wollte sie es allen zeigen, fuhr aber mit angezoge­ner Handbremse und gewann ’nur‘ die Bronzemedaille; wieder mit einer Zeit, die viel langsamer war als ihre Bestzeit. Man merkte ihr bei diesem Rennen an, dass bei ihr die Angst mitfuhr, erneut zu stürzen und alles zu verlie­ren.

Im dritten Rennen war „Gold-Gunda“, wie die BILD-Zeitung sie getauft hatte, dann wieder zuversichtlich. Einerseits waren ihre Trainingszeiten hervorragend, andererseits war sie auf dieser Strecke schon über mehrere Jahre ungeschlagen und ihre Konkurrenz fuhr meist fünf bis zehn Sekunden hinterher. Doch kurz be­vor Gunda Niemann starten durfte lief eine Mannschaftskammeradin pesön­liche Bestzeit und kam bis auf eine Sekunde an den Weltrekord von Gunda Niemann heran. Die Erfurterin ver­suchte ihr Bestes und konnte doch ’nur‘ den zweiten Platz belegen. Enttäuscht erklärte „Gold-Gunda“: „Das waren meine letzten olympischen Spiele.“

Bei Markus Wasmeier war in Lillehammer ’94 alles anders. Er, der „Trainingsweltmeister“ im deutschen Ski-Team (eine despektierlicher Ausdruck für einen Sportler, der später im Wett­kampf nie ganz vorne landet), wurde in seinem ersten olympischen Rennen nur 30. und zog sich den Spott der Experten zu. Vor sei­nem zweiten Rennen sagte Wasmeier, er habe nun nichts mehr zu verlieren, könne befreit fahren – und wieder schmunzelte man über den Bayern. Nach dem Rennen war klar: Markus Wasmeier hatte sensationell Gold gewonnen. Noch unglaublicher war, dass der Skifahrer, der in sein drittes Rennen nun völlig ohne Er­folgsdruck an den Start gehen könnte, dabei seine zweite Goldmedaille erringen konnte.

Hans-Hubert „Berti“ Vogts (DFB-Fußballbundestrainer von 1990 bis 1998) war sicher kein Meister der Rhetorik, aber er konnte Fehler zugeben. Nach dem enttäuschenden Abschneiden der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM ’94 und dem noch enttäuschenderen Statement der DFB-Oberen („Unter den besten acht Mannschaften zu sein ist doch auch ein Erfolg!“) gab Vogts unverblümt eigene Fehler zu und vermied damit das sonst vorherrschende Geplapper von Kollegen à la „Ich bereue nichts und würde al­les noch einmal genauso machen.“ – Dazu muss man wissen: Fehler zuzugeben ist für einen Men­schen nicht einfach. Oft müssen Ausreden herhalten und/oder es wird die Schuld bei anderen Personen oder Umständen gesucht. Wer aber beispielsweise in der Verwaltung Verantwortung trägt, der trägt auch die Verantwortung, gegenüber seinen Kollegen und Mitarbei­tern offen zu sein und nichts zu verniedlichen oder zu beschönigen. Nur dann kann er / sie davon ausgehen, dass es eine Akzeptanz gibt und Positionen gestärkt werden.

Oft wird im Bezug auf die tägliche Arbeit behauptet: Der oder Die wolle ein­fach keine Verantwortung übernehmen – aus der Angst zu Versagen. Doch mancher versagt, obwohl er bereit war Verantwortung zu tragen. Ein anderer hat Erfolg, ohne, dass er hierfür verantwortlich war. Denn es gibt so etwas wie „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (so der Titel einer Erzählung des österreichischen Schriftstellers Peter Handke). Doch nicht immer sind die Gründe für ein Versagen, für Er­folg oder Misserfolg, so klar zu deffinieren, wenn man auf eine Verwei­ge­rung der Übernahme von Verantwortung stößt.

Wenn immer wieder von Führungskräften die Rede ist, die zu den Konsequenzen von Verantwortung zu stehen, dann betreffe dies, so Reinhard Dobat in einer Studie aus den 1990er Jahren, einen bestimmten Typ von Verantwortungsträgern. Und zwar den „Alleskönner mit traditioneller Partnerschaft/Ehe und ‚heiler‘ Familie, bei dem das Privatleben geregelt ist, so daß er ungestört seinem Beruf nachgehen kann.“ Doch könnte dies eine zu traditionelle Sicht der Dinge sein, denn das Vorhandensein eines ‚heilen‘ Familienumfelds ist heute kein hinreichender Anreiz mehr, Führungspositionen und Verantwortung zu übernehmen. Vor allem jüngere Mitarbeitende haben andere Ansprüche an ihr Leben und ihren Beruf. Dazu gehört beispielsweise die Freiheit, eine Partnerschaft bzw. Ehe nach ihren eigenen Vorstellun­gen und Werten zu leben.

Das dies beileibe keine rein deutsche Entwicklung ist, bestätigt sich in den Er­gebnissen neuerer Umfragen der McKinsey-Meinungsforscher aus den USA. Anders als früher, so eine McKinsey-Untersuchung, bringen selbst Top-Mana­ger immer häufiger private Momente ins Spiel, wenn sie einen bestimm­ten Job ablehnen. Karriere ist eben nicht mehr alles und dies zu erkennen, einer der Er­folgsschlüssel für die Verwaltungsarbeit in den nächsten Jahren.

Deshalb liegen Konzepte, die es Männern wie Frauen ermöglichen, Beruf und Familie miteinander zu verbinden, „im nicht zuletzt wirtschaftlichen Interesse der Verwaltung wie auch dem von Unternehmen.“ Zu diesem Fazit kommen Reinhard Dobat als Leiter des Bonner Institutes für Kommunikation und Gesell­schaft und die Diplom-Psychologin Monika Dahmen-Breiner in ihrem ge­meinsamen Buch „BERUF KONTRA FAMILIE?“.

Monika Dahmen-Breiner, Beraterin für Kooperation und Teamentwicklung, resümiert: „Berufs- und Familienwünsche von jüngeren Frauen und Männern treffen auf eine Organisation der Erwerbswelt, die die Trennung von Familie und Beruf voraussetzt und durch eine Konkurrenz zwischen beiden Bereichen gekennzeichnet ist.“ Einerseits würden in der Familie Wege gesucht beides zu vereinbaren und die Konflikte abzuschwächen, andererseits hofft man auf ein Entgegenkommen der Arbeitgeberseite.

Dabei könnte die Verwaltung sogar den Schritt gehen, auf Basis dieser Erkenntnisse eine neue Art der Moti­vation und Organisation zu entwickeln. Denn: „Auch am Arbeitsplatz möchte der Einzelne als verantwortungsbewußter Partner der ‚Berufs-Ehe‘ mit klar formulierten Bedürfnissen respektiert werden“, betonen die beiden Autoren. „Führung nach alter Väter Sitte“ isei, so Monika Dahmen-Breiner, mit moder­nem, mitarbeitero­rientiertem Führungsstil un­vereinbar.

PS: Herr Vogts stand als Fußball-Bundestrainer in 102 Spielen (66 Siege, 24 Remis, 12 Niederlagen) an der Seitenlinie. Er erreichte zwar nach Joachim Löw und Helmut Schön die meisten Siege als DFB-Trainer und sowohl mit alter als auch mit neuer Wertung gemessen (2 Punkte bzw. 3 Punkte pro Sieg) nach Löw die zweitbeste Quote aller Bundestrainer. Als größten Erfolg als Bundestrainer kann Vogts der Gewinn des Titels bei der Fußball-Europameisterschaft 1996 für sich verbuchen; hinzu kommt der Gewinn der Weltmeisterschaft 1990 als Co-Trainer.

Geschrieben von und © 1995 (ergänzt 2021) für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining

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