„Wer wirklich Autorität hat, wird sich nicht scheuen auch Fehler zuzugeben.“ (Betrand Russel)
Herr Stein hat fünf erträgliche Kollegen in seiner Abteilung. Und außerdem Herrn Schmitt. Schmitt („mit zwei T“) ist ein großgewachsener schlanker Mann mit roter Nase, blonden Bürstenhaar und einem glattrasierten Kinn. Er ist Vegetarier mit dem selbstgestellten Auftrag seine Kollegen in diesem Lebensbereich zu missionieren und stellt sich (natürlich ohne dass dies seine Absicht wäre) oft in den Mittelpunkt seines Teams. Das wäre schon schlimm genug, doch Schmit leidet auch an der Behördenkrankheit: Er mag weder seine Arbeit, noch die Bürger, die etwas von ihm wollen und schon gar nicht seine Kollegen.
Das ist zwar in der Verwaltung kein Einzelfall, erschwert in seinem besonderen Fall aber die Sache. Denn es kommt hinzu, dass Schmitti – wie ihn einige Kollegen nennen, was er sich verbittet, weshalb es kein Ende nimmt – Anfang 50 ist und es in den nächsten zehn Jahren nicht mehr viel weiter nach oben schaffen wird. Allerdings kann ihm, da er lange genug im Dienst ist, auch keiner mehr am Zeug flicken.
So richtig kennen lernt man Schmitti erst in der Kaffeepause, die bei ihm stets kurz nach der Mittagspause stattfindet. Kollege Schmitt („mit zwei T“), der auch die kleinsten Meldungen in der Tageszeitung sorgfältig liest (selbstredend während der Arbeitszeit), hat eine Meinung zu allen Ereignissen parat. Er nennt seine Meinung am liebsten „ausgewogen“ und versichert deshalb gleich zu Anfang, dass es sich beispielsweise bei Flüchtlingen „schließlich auch um Menschen“ handele, was er keineswegs in Abrede stellen wolle. Dafür verlangt er von seinen Mit-Kollegen das Zugeständnis, dass Geflüchtete dennoch „ein Problem“ darstellen. Eines mit Handlungsbedarf. Aber natürlich „zündet kein aufrechter Staatsbürger“ Flüchtlinge an.
Und doch wird des Schmittis Stimme, sowie er mit dem Chef der Abteilung spricht, sanft und leise kläglich, wie die eines zu Unrecht verdächtigten Musterknabens. Und ganz von selbst gleitet sie, wenn er sich gegen gar nicht erhobene Vorwürfe verteidigt, zwei Töne nach oben. Für Fehler sind stets andere verantwortlich, wobei er alles erdenkliche unternommen habe, sie zu vermeiden. Schmitti versichert, „selbstverständlich“ mache auch er mit bei den neuen Entwicklungen in der Verwaltung mit, denn hier könne sich niemand verweigern. Aber alles habe seine Grenzen. „Schließlich“ könne „nicht alles verkehrt sein“ (und seine Betonung liegt auf „alles“), was seit fast fünfzig Jahren bestens funktioniert habe.
Auf „seinem“ Schreibtisch in „seinem“ Büro steht im silbernen Rahmen das Bild der Frau, von der Schmitti immer als „meine Frau“ spricht. Niemand weiß, ob Herr Schmitt seine Frau liebt. Aber warum sollte ein Mann wie Herr Schmidt „seine“ Frau nicht lieben? Trotzdem: Herr Schmitt („mit zwei T“) ist alles in allem ein Kotzbrocken mittleren (Dienst-)Ranges, doch allererster Güte. Und das Erstaunlichste an ihm ist die Tatsache, dass es ihn tatsächlich gibt. In Echt.
Kurt Tucholsky hätte an ihm seine helle Freude gehabt, denkt Herr Stein.
Geschrieben von und © 1995 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining