„Von den Trümmern der bedrückenden Gegenwart zu den Sternen aufzublicken heißt, die unzerstörbare Welt der Gesetze zu erkennen, den Glauben an die Vernunft zu stärken, die ‚harmonia mundi‘ zu erkennen, die alle Phänomene durchdringt.“ (Hermann Weyl)
Die von uns Menschen gestaltete Welt ist voller Symmetrie, denn wir lieben symmetrisch gestalte Objekte. Das fängt bei unseren Körpern an, die bilateral gestaltet sind. Im Spiegel, mit einem gewissen Abstand und auf den ersten Blick betrachtet ist alles an uns symmetrisch. Wie haben zwei Arme, zwei Beine, zwei Brüste, zwei Pobacken, zwei Ohren, zwei Augen, zehn Finger. Alle Körperteile, die auf der Symmetrieachse liegen, gibt es dagegen nur einmal: Nase, Nabel, Vagina / Penis, Anus.
Auch in der Pflanzenwelt findet man eine Symmetrie, die sogar noch ausgeprägter ist, als beim Menschen, haben die allermeisten Blüten doch nicht nur eine Symmetrieachse, sondern besitzen eine bis zu sechsfache Symmetrie. Ob wr Menschen vielleicht allein schon deshalb Blumen lieben? Tatsache ist: auch die von uns Humanoiden gestaltete Welt ist von Symmetrie geprägt. Viele Gebäude (beispielsweise Bahnhöfe, Kirchen, Schlösser), Fahrzeuge aber auch Verkehrszeichen, Möbel, Teppiche, Fußböden, unser Geschirr, Werkzeuge: alle sind symmetrisch gestaltet worden.
Symmetrie ist, so beschreibt es der Mathematiker Herrmann Weyl in seinem 1955 erschienenen Werk „Symmetrie“, sei „etwas Wohlproportioniertes, Ausbalanciertes, (…) die Übereinstimmung mehrerer Teile, die sie zu einem Ganzen werden lässt.“ Weyl kommt zu dem Schluss: Wo immer der Mensch Ordnung, Schönheit und Vollkommenheit zu begreifen oder zu schaffen versucht hat, war die Symmetrie ein ihn leitendes Prinzip und der Spiegel eine wichtiges Objekt zur seiner Feststellung. Auch das projektive verfahren des sog. Rohrschach-Tests (eigentlich: Rorschach-Formdeuteversuch) basiert auf diesem Prinzip: ein achtloser Kleks auf einem Blatt Papier wird durch falten, zusammendrücken und wieder entfalten zu einem Ereignis und lässt unser Gehirn an einer Erklärung, was auf dem Blatt nun zu sehen ist, arbeiten.
Die Mechanismen unserer Wahrnehmung „fahren“ sozusagen auf Symmetrie „ab“. Das hat mit der Verknüpfung von Kognitionsfähigkeit und Neurobiologie zu tun und die Hirnforschung versucht seit vielen Jahrzehnten Antworten auf die Fragen zu finden: Warum zieht dieses oder jenes symmetrische Objekt unsere Blicke auf sich? Weshalb denken wir, dass es „besser“ sei als andere? Es war im 18. Jahrhundert, da behauptete Immanuel Kant, dass neben der Zeit auch der Raum eine Art angeborenes Wahrnehmungselement ist, das unsere Erkenntnis bestimmt. Und ein Raum bzw. ein Objekt, das symmetrisch, also im Wesentlichen geometrisch, ist wird vom Gehirn als „ruhig“ wahrgenommen und damit als „beruhigend“. Vielleicht ist das so, weil in der Natur Symmetrie etwas besonderes ist, kommt sie doch in der Fläche eher selten vor.
Andererseits ist es so, dass unsere Wahrnehmung aus evolutionären Gründen senkrechte oder „aufrechte“ Objekte grundsätzlich als eine Art Bedrohung qualifiziert, da in der menschlichen Urheimat Savanne die sich horzizontal erstreckende Flora und die unbelebte Natur keine Gefahren darstellten. So erklärt es sich, dass zu Urzeiten nach aufrechten Objekten AUsschau gehalten wurde und unser Urinstinkt empfindlich auf aufrechte Ojekte, selbst, wenn sie sich nicht bewegen, reagiert. Wer Stanley Kubricks „2002“-Epos kennt, versteht nun auch die Eingangsszenen mit dem Monolithen.
Seither hat sich viel verändert und doch ist ebenso viel von damals verblieben, was die Wahrnehmung von Formen betrifft. 1981 erhielen David Hubel und Torsen Wiesel einen Nobelpreis im Bereich der Medizin für Erkenntnisse über die Informationsverarbeitung im Sehwahrnehmungssystem des menschlichen Gehirns. Durch die Forschungen der beiden weiß man, dass die konkrete Form des Objektes, welches wir gerade betrachten, bestimmt, welche Neuronen im Gehirn aktiv werden. So qualifizieren wir ein Objekt, ohne auf Details zuachten, blitzschnell über seine Gestalt. Erst viel später versucht unser Gehirn anhand von Details eine Beziehung zwischen der Gestalt und den Details zueinander herzustellen.
Schönheit entsteht in unseren Augen (und Gehirnen) vor allem dadurch, dass ein asymmetrisches Aussehen unwillkürlich einem genetischen oder körperlichen Fehler zugeschrieben wird. So entsteht im Umkehrschluss die Folgerung, dass das Symmetrie ein Zeichen für Gesundheit und gute Gene ist. Die Funktionsweise dieses Mechanismus ist bis heute nicht ganz klar. T. J. Wade meinte 2010 in seiner Studie „The Relationships between Symmetry and Attractiveness and Mating Relevant Decisions and Behavior“, Symmetrie bzw. Asymmetrie würde das Unterbewusstsein durch eine Messung von Körperteilen oder Gesichtselementen bewerten.
Da Symmetrie so unerklärlich ästhetisch auf uns Menschen wirkt, ist es nicht verwunderlich, dass schon seit der Antike auch die Gestaltung vieler Gebäuden, genau auf ihr basiert. Als bekanntestes Beispiel gelten wohl die ägyptischen Pyramiden, vor allem die wohl großartigsten Beispiele kommen aus der Stadt Gizeh. Sie weisen eine unheimliche, fast unvorstellbare Symmetrie und Präzision in Bezug auf ihre Errichtung auf und sind bis in die fortgeschrittene Neuzeit einzigartig. Erst in der Zeit des Jugendstils entstand erstmals ein asymmetrischer Architekturstil: gewellte Konturen und Linien mit Inspirationen aus der Pflanzen- und der Naturwelt mit Auswirkungen auf viele spätere Entwicklungen; auch ein Friedensreich Hundertwasser war u.a. durch die Bürgerhäuser von Antonio Gaudi aus Barcelona inspiriert.
Viele Denkmodelle aus dem frühen 20. Jahrhundert gehen darauf zurück, dass es eine ideale Symmetrie ohnehin nicht geben kann. Bei näherer Betrachtung sind unsere Körper, Gesichter, Hände und viele Gegenstände in der Tat sehr unterschiedlich. Und ebenso wie unsere rechte Hand keine direkte Widerspiegelung der linken Hand ist, arbeiten auch unsere beiden Gehirnhälften nicht gleich. Von Menschen hergestellte Symmetrie ist damit lediglich ein geometrisches Konzept, das auf unser Gefühl für das Gleichgewicht und die Balance von Dingen setzt, um einen angenehmen Eindruck von Ästhetik zu vermitteln.
Unser Gehirn wählt jedoch gezielt aus, was es überhaupt speichert und wie lange man sich gut daran erinnern kann. Zunächst bleibt ein Eindruck im Ultrakurzzeitgedächtnis, aus dem aber nur relevante Informationen ins Kurzzeitgedächtnis übertragen werden, der Rest sofort wieder ausgeblendet. Das bedeutret, dass nur Relevantes bleibt im Gedächtnis verbleibt. Damit ist jedoch Symmetrie, die uns ästhetisch beruhigt, eher auf der Verliererstraße und damit in gewisser Weise SINNlos. Asymmetrie (übrigens auch im musikalischen Bereich) regt dagegen aufgrund ihrer Ungewöhnlichkeit unser Gehirn an, man horcht auf, sieht genauer hin, ist aufmerksam. Dies eröffnet dem Eindruck eine große Chance, im Gedächtnis zu bleiben – ganz so wie bei Wissen, das wir explizit (er-)lernen.
Geschrieben und © 2018 von Rainer W. Sauer für CBQ Verwaltungstraining & BRAIN.EVENTS