SANS PAROLE | Charlie Chaplin meets Jacques Tati

In liebender Erinnerung an meinen Vater geschrieben!

Charles Spencer Chaplin ist auch 45 Jahre nach seinem Tode immer noch eine der bekanntesten Figuren der Filmgeschichte, sowohl vor als auch hinter der Kamera. Als Spazierstock schwingender Tramp mit verbeulter Melone, viel zu kleiner Jacke und viel großer Hose wurde er bereits vor einem Jahrhundert zu einer Ikone des Kinos als dessen erster Weltstar. Der Begriff des Slapsticks geht zwar direkt auf die Pritsche der Hofnarren zurück, die großen Lärm erzeugt, dem Geschlagenen aber keine ernsthaften Schmerzen zufügt und stets Garant für großes Lachen war. Charlie Chaplin machte Slapstick aber im Film hoffähig als körperbezogene, wortlose, visuelle Form der Komik, abseits des Wortwitzes oder der Filmparodie.

Bei den Academy Awards oft nominiert für einen Oscar als Schauspieler und Drehbuchautor (den er als Ehren-Oscar gleich zwei Mal verliehen bekam: 1929 für „Vielseitigkeit und Genie in Bezug auf Schauspiel, Regie, Drehbuch und Produktion“ und 1972 für „Unschätzbare Verdienste um die Filmkunst“) erhielt er seinen einzigen „echten“ Oscar erst vier Jahre vor seinem Tode für die beste Originalmusik in dem Film „Limelight“ („Rampenlicht„). Dieser Aspekt von Chaplins künstlerischem Schaffen ist allerdings stets viel zu wenig beachtet worden: die Filmmusikkomposition.

Sein bis heute beliebtester Einzeltitel ist „Smile“ aus dem Jahre 1936, den er für seinem Filmklassiker „Moderne Zeiten“ ohne Text komponierte. Erst fast zwei Jahrzehnte später baten ihn die britischen Liedtexter John Turner und Geoffrey Parsons darum, ihn vertonen hzu dürfen und er gab seine Zustimmung; einzige Bedingung: der Text solle dem Zuhörer den rat geben, dass man auch in schwierigen Situationen versuchen sollte, zu lächeln und die Dinge positiv zu sehen. Mit Text wurde Chaplins Song im Jahre Mitte der 1950er Jahre zu einem Charterfolg durch die Interpretation von Nat King Cole und zu einem bekannten Evergreen, der von zahlreichen populären Künstlern aufgenommen wurde. Er galt als Lieblingslied sowohl von Jerry Lewis, der ihn als Erkennungsmelodie seiner TV-Show nutzte, als auch Michael Jackson, auf dessen Beerdigung ds Lied erklang.

Für Chaplin selbst war Musik weit mehr als nur die dekorative Zutat seiner Filme. Er nutze sie als wichtiges dramaturgisches Mittel und bestimmte durch sie in vielen Szenen Tempo und Rhythmus der Abläufe. Hinzu kam, dass er sich auch nach dem Ende der Stummfilmzeit lange weigerte, in seinen Tonfilme mit gesprochenen Texten zu arbeiten. Dabei vertraute er allein auf die szenische Kraft seiner Pantomime in Verbindung mit der Musik und offenbarte eine erstaunliche musikalische Begabung, wobei 1931 „City Lights“ („Lichter der Großstadt„) sein erster Film war, für den er den kompletten Soundtrack selbst geschaffen hatte. Und obwohl sich damals der Tonfilm etabliert hatte, feierte er damit einen seiner größten Publikumserfolge.

Den Franzosen Jacques Tatischeff alias „Tati“ als ein Pendant von Chaplin zu bezeichnen wäre grundfalsch. Trotzdem sind die Parallelen kaum zu übersehen. Auch Tati plante jeden Gag akribisch genau, auch bei ihm spielte die Musik im Film eine entscheidende Rolle und sein Protagonist ist stets einer, der nahezu ohne Worte auskommt – oder wie man in Frankreich zu sagen pflegt: „sans Parole“. Und auch bei ihm hat Zeit nichts mit der Realität zu tun sondern mit der Bedeutung von Erfahrung. Die Touristen in seinem Hauptwerk „Playtime“ („Tatis herrliche Zeiten„) sind stets erschöpft, sehen aus, als wären sie seit Wochen statt etwa 24 Stunden in Paris.

Tati fügt der Bedeutung von Musik aber gleichermaßen die des Tons hinzu. Viele Regisseure nach ihm, darunter so unterschiedliche wie David Lynch oder J. J. Abrams, hoben immer wieder seine Pionierrolle hierbei hervor. Zudem ist Jacques Tatis Verwendung von Ton auch noch außerordentlich witzig, egal ob er Soundeffekte wie Schritte, aus dem Zusammenhang gerissene Dialoge (hauptsächlich in einer Mischung aus Französisch, Englisch und Deutsch gesprochen), unverständliche Lautsprecherdurchsagen oder Autogeräusche einsetzt.

Auch wenn die komische Darstellungswucht eines Louis de Funès eher ein abschreckendes Beispiel ist, sind Franzosen stets sehr subtil humorvoll. Bei Tatis allesamt brillanten Filme verfolgen die ZuschauerInnen meistens wie in einem Ameisenpalast ein totales Spektakel, das bei dem 1982 verstorbenen Allroundtalent jedoch viel, viel lustiger ist. Was jedem seiner Werke eine Faszination und Bedeutung verleiht ist, dass seine, oft nur visuell erkennbaren, humorvollen Spitzfindigkeiten die Tiefe ihrer Sozialphilosophie und Zivilisationskritik überflüssig machen. Sei es der Straßenkehrer in „Mein Onkel„, der Film im Film „Tatis Schützenfest“ („Jour de fête“) über das ach so fortschrittliche amerikanische Postwesen oder das nervende Geräusch der Schwingtür im Strandhotel in „Die Ferien des Monsieur Hulot„. In letzterem ist Jacques Tati übrigens auch als untalentierter aber erfolgreicher Tennisspieler zu sehen, was kaum verwundert, denn er war äußert sportlich und vergaß in Interviews nie zu erwähnen, dass man beispielsweise einen schlechten Schwimmer nur dann gut spielen könne, wenn man ein guter Schwimmer sei.

Der Hauptunterschied zwischen Chaplin und Tati ist aber wohl, dass Charles Spencer seine Gags und Lacher immer auf sich selbst bezog, Jaques aber bescheiden auf die jeweilige Situation, in die er seinen liebenswert-exzentrischen „Monsieur Hulot“ manövrierte. Während Chaplin eine Sahnetorte mit voller Absicht warf, hätte Tatis Hulot sie, als absurde Kette unmöglicher Umstände, irgendwann in jemandens Gesicht landen lassen, wärend er bereits lange außer Reichweite war – selbstverständlich ohne irgendetwas von den durch ihn verursachten Vorgängen zu bemerken.

Während man ÜBER Chaplin lacht, lacht man MIT Tati. Gleichwohl stellen die beiden auf ihre ganz eigene Weise die beiden Seiten der gleichen Medaille dar. Ohne Worte, sans paroles!

Geschrieben von und © 2015 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining


Nachtrag: Ebenfalls sehenswert ist der 2010 erschienene Animationsfilm „L’Illusionniste“ / „Der Illusionist“ des französischen Regisseurs Sylvain Chomet, der auf einem unveröffentlichten Drehbuch von Tati aus dem Jahr 1956 beruht und sich eines Herrn Tatischeff als Titelhelden annimmt. Hierin verliert ein in die Jahre gekommener französischer Illusionist den Glauben an sich selbst. Chomet hatte das Skript von Tatis Tochter Sophie erhalten.

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