„Wie kann der Mensch noch Bücher kaufen, seitdem die Illustrierte existiert?“ (Johann Nepomuk Nestroy)
Wie ich ja bereits erzählt habe, ist mein CBQ-Modul „Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ plus des provizierenden Nachsatzes „Die Geschichte muss nicht stimmen, sie muss sich nur gut anhören“ kein Plädoyer für Fake-News, eher eins für den bewussten Umgang damit. (Für den bewussten Umgang mit Wahrheit siehe DIESEN Blogartikel!) Also:
Sie haben sich bestimmt schon oft über die Boulevardmedien – vereinfachend Yellow Press benannt – gewundert oder geärgert. Unter verharmlosenden Titeln wie „Freizeit Revue“, „neue woche“, „Das Goldene Blatt“ oder „die aktuelle“ machen diese Low-Budget-Blätter Woche um Woche Millionenumsätze, obwohl ihre Inhalte bewusst mit der Verbreitung von Halbwahrheiten oder kreativ ausgedachten Storys Rechtsverletzungen begehen, da diese Eingriffe in die Privat- und Intimsphäre Personen massiv schädigen.
So weiß Christian Schertz, einer der bekanntesten deutschen Rechtsanwälte auf dem Gebiet des Medienrechts, der Persönlichkeiten wie Politiker, Künstler, Schauspieler und Journalisten gegen Boulevardmedien vetritt, Besonders erfinderisch sind allerdings die „Journalisten“, die für diese Blättchen arbeiten, dass die Yellow Press bei der Gestaltung ihrer Titelseiten noch eine Schippe Kreativität mehr auflegt. Er berichtete einerseits über die manipulierten Bilder, oft aus zwei Einzelporträts nebeneinander bestehen, die vor eine Landschaft gesetzt werden, in welcher sich die abgebildeten Personen nie aufgehalten haben, nur um genau diesen Eindruck bei den Käufern zu erwecken.
Schertz, der als Honorarprofessor Presse- und Persönlichkeitsrecht an der TU Dresden tätig ist, geht aber auch mit den Schlagzeilen dieser Blätter hart ins Gericht. So werden dort nach seiner Erkenntnis Dinge einfach frei erfunden oder es wird falsch behauptet, etwa dass ein prominenter Schauspieler über seine angebliche Lebenskrise mit der Zeitschrift „exklusiv“ geredet habe – obwohl ein solches Gespräch niemals stattfand. Richtig perfide wird es, wenn die Wahrheit gedehnt oder unter Verwendung der Wahrheit Lügen verbreitet werden. Geradezu ein „Klassiker“ sei, so der Experte, die Schlagzeile über eine Prominente: „Ihr tapferer Kampf gegen den Krebs“; erst im Innenteil der Blattes erfahren die Leser, dass Frau XYZ keineswegs erkrankt ist sondern sich lediglich in einer Krebsstiftung engagiert.
Ähnlich kreativ wie die Yellow Press mit der Wahrheit umgeht, um Käufer zu „fangen“ gehen manche Parteien oder Bewegungen wie Querdenkern oder Pegida auf Menschenfang, indem sie „Wahrheiten“ unters Volk bringen. Dabei ist alles recht, was behauptet werden kann und anschließend über soziale Netzwerke als angebliche Fakten Verbreitung findet. So skandiert man „Merkel hinter Gitter“ oder „Merkel – länger an der Macht als Hitler“ soll „im Kanzlerbunker“ sitzen und von dort aus die Bundesrepublik mit Asylanten „fluten. Und kein Stauffenberg in Sicht!!!“ – die Zielrichtung solcher Botschaften ist klar.
Anders als oft angenommen, schützt das Persönlichkeitsrecht auch den Menschen des öffentlichen Interesses vor der Verbreitung von Unwahrheiten und Eingriffen in seine Intim- und Privatsphäre. Das wissen die Verleger wie die Populisten und das wissen auch deren Juristen. Dennoch wird bewusst kalkulierter Rechtsbruch begangen – im einen Fall unter dem Mäntelchen der Pressefreiheit im anderen unter dem Freiheit der Meinung. Die Prozesse kosten (falls sich denn ein Prominenter und/oder Politiker traut) in der Regel weniger als die Falschmeldung eingebracht hat, egal ob Geld oder Likes – heißt also: es lohnt sich.
Geschrieben von und © 2021 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining