ADHS | Fluch und Segen von Aufmerksamkeitsdefizit- bzw. Hyperaktivitätsstörungen

Was geht in einem Gehirn vor, wenn wir denken? Arbeiten die Gedanken geordnet wie in einer Excel-Tabelle, in der alles seinen festen Platz hat? Oder springen sie wild umher wie das Eruptionen der Sonne, die mal hierhin, mal dorthin entweichen? Jedes Mal, wenn wir denken, Szenarien geistig durchspielen oder in Erinnerungen schwelgen, entstehen in unserem zentralen Denkorgan neue Verbindungen. Diese sog. Synapsen ermöglichen den Austausch zwischen den Nervenzellen der verschiedenen bereiche unseren Geistes. Über sie fließen alle Gedankenströme, „kommunizieren“ miteinander durch elektrische Impulse.

Im Rahmen meiner 24SIEBEN-Reihe geht es im Programmteil „Wie denken und wie fühlen wir?“ auch um ADHS. Gerade für Menschen mit ADHS, also einer Aufmerksamkeitsdefizit- bzw. Hyperaktivitätsstörung kann der Alltag besonders herausfordernd sein, besonders im Berufsleben: Ihre Aufmerksamkeitsspanne ist oft sehr kurz, sie werden schnell abgelenkt und sie treffen beim Kommunizieren nicht immer den richtigen Ton. Zugleich können sie gleichzeitig kreativ und voller Begeisterung sein. Im Rahmen meiner Recherchen zu frühkindlichem Autismus / ASS konnte ich auch von ADHS Betroffene nach deren Tipps und Strategien fragen, wie sie ihren Alltag meistern. Ihre Techniken sind oft wirklich gehirn-genial und können nicht nur Menschen bei „All diesen hyperaktiven Sachen“ helfen, sondern wahrscheinlich vielen anderen auch, die Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren oder beispielswiese Fristen einzuhalten. Je nach Alter und Entwicklungsstadium eines Menschen mit ADHS stehen darüber hinaus unterschiedliche Verhaltensauffälligkeiten im Vordergrund, wobei das Prinzip „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt!“ auch hier gilt. Heißt: Wer die Risikofaktoren und Warnzeichen kennt, kann frühzeitig handeln und besser damit umgehen – das gilt auch für Eltern.

ADHS mag ein Thema sein, das der Zeitgeist ganz nach oben katapultiert hat – auf jeden Fall wird es in der Gesellschaft breit diskutiert. Bekannte Menschen wie Bill Gates, Albert Einstein, Wolfgang Amadeus Mozart haben und hatten wohl Aufmerksamkeitsdefizit- bzw. Hyperaktivitätsstörungen und Prominente wie Eckart von Hirschhausen oder Benjamin von Stuckrad-Barre sprechen offen über ihre Diagnose. Es gibt Studien, nach denen rund zwei Mio. Menschen in Deutschland davon betroffen sind – bei einigen stärker, bei anderen weniger. ADHS wird, ähnlich wie Autismus, oft als eine Art „Spektrum“ betrachtet und ebenso wie ASS verbinden viele Menschen mit ADHS weniger eine Erkrankung, sondern eher eine Art Superkraft. Und unter vielen Managern ist es ohnehin kein Geheimnis, dass sie der Meinung sind, dass mehr Neurodiversität Unternehmen zugutekommen kann.

In Gesprächen mit ADHS-lern ist eine Art Linie zu erkennen: Fast alle Betroffenen berichten, dass die Diagnose für sie eine Erleichterung war, weil sie endlich einen Namen für das hatten, was bei ihnen anders funktioniert – auch hier sind Parallelen zum Asperger Autismus zu erkennen. Der Druck, unter dem sie stehen, kann teilweise ganz erheblich sein. Wenn beispielsweise Leonardo da Vinci am Ende seines Lebens enttäuscht davon war, dass er (wie er glaubte) sein volles Potenzial nicht ausgeschöpft habe, lässt sich auch bei ihm ADHS vermuten, denn viele Betroffene weichen in ihrer Selbstwahrnehmung von der Sicht Außenstehender erheblich ab.

Im Grunde genommen handele es sich nicht nur um eine Erkrankung, sondern um eine Normvariante der Gehirnfunktion, drückte es die Bremer Psychiaterin und Psychotraumologin Katrin Rautenberg einmal aus, denn sofern Betroffene passende Umfelder für sich finden würden, habe ADHS keinen Krankheitswert – da eine Krankheit auch Leiden verursachen müsse, wie sie sagte. Zudem nutzen Betroffene ihre unkonventionelle Denkweise in Gesprächen oft auch zu überraschend amüsanten und unerwartet außergewöhnlichen Denk-Wendungen, die vom Umfeld dann als Schlagfertigkeit wahrgenommen werden. Wenn diese Fähigkeit in Maßen eingesetzt wird, kommt sie bei Außenstehenden in der Regel sehr gut an und wird positiv bewertet.

Nebenbei bemerkt: Falls sich jemand aus der Leserschaft wiedererkennt oder sich unsicher ist, dann kann er sich einem, von der Weltgesundheitsorganisation WHO entwickelten, Selbsttest mit sechs Fragen widmen und selbst feststellen, ob da prinzipiell etwas dran sein könnte. Und ganz allgemein kann man feststellen, dass psychische Spektrums-Erkrankungen heutzutage gut behandelbar sind. Der erste Schritt ist eine Diagnose durch eine Fachärztin oder einen Facharzt; bei Kindern und Jugendlichen kann anschließend eng mit Sozial- und Heilpädagogen, Psychotherapeuten sowie Fachkräften aus verschiedenen Therapiebereichen zusammengearbeitet werden oder man kann um deren umfassende Unterstützung bitten.

Geschrieben von Rainer W. Sauer und © 2024 für BRAIN.EVENTS / CBQ & CBQ blue

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