Letzte Woche schaute ich mir als „Best of Cinema“-Wiederaufführung noch einmal Luc Bessons „Das fünfte Element“ auf der großen Leinwand inklusive Super-Sound an. In der 1997 erschienenen SF-Komödie geht es um Wasser, Erde, Feuer und Luft, die durch das fünfte Element – ein perfektes Wesen – zu einem Schutzschild gegen jede Gefahr werden können.
Zum Thema „Perfektionismus“ hatte ich ja schon AN DIESER STELLE einiges geschrieben. Auch wenn man es im Grunde nicht wahrhaben mag: in fast jedem von uns steckt ein kleiner Perfektionist. Denn schon früh in der Kindheit, ummso mehr später in der Schule, erwartet man Leistung von uns. Zudem wird diese Leistung („Räum jetzt dein Zimmer auf“ / „Hole mir mal dies und das.“ / „Du musst unbedingt bessere Arbeiten schreiben.“ / „So, jetzt noch eine Runde laufen.“) bewertet – durch Noten, Lob oder Tadel der Eltern oder Lehrkräfte.
Die Reaktion darauf kann darin bestehen, dass man im späteren Leben den Selbstanspruch hat, viele Dinge besonders gut machen zu wollen, ob im Beruf oder als Elternteil. Und da gibt es für uns sooo viele Vorbilder. Auf Social Media oder im Arbeitsalltag. Überall scheint es Perfektionisten zu geben und deren Ergebnisse möchte man nachahmen. Hinzu kommt: wenn man beispielsweise mit einem chiff fahren will, dann geht man eher auf eines, dass einen ordentlichen Eindruck macht als auf eines, das liederlich aussieht.
Solange ein Mensch sein Ziel darin sieht, das Beste zu erreichen, muss er sich zugleich aber auch zugestehen, dass auf diesem Weg Fehler passieren. Nur so wird ihn sein Weg zur Perfektion ohne ein angeschlagenes Selbstwertgefühl gelingen. Im Umkehrschluss können sehr hohe Maßstäbe an bestimmte Dinge zu einem Problem für das Selbstwertgefühl werden. Geben Menschen sich als Vorbild oder propagieren sich bestimmte Werte, kann sich die Situation, sofern man selbst nicht allen Ansprüchen genügt, so zuspitzen, dass man Angst davor hat, dass andere Menschen dies bemerken oder erfahren und man dann von diesen nicht mehr geliebt / akzeptiert / respektiert wird.
Während sich Menschen mit dem Drang zur Perfektion, die andere ihnen vorleben, sich oft vor allem auf das Versagen konzentrieren, kaum noch Erfolge als solche erkennn, und hierdurch leiden, sind in der Öffentlichkeit stehende Vorbilder vielfach mit ihren Ängsten vor bestimmten Situationen auf sich allein gestellt. Für die Betroffenen gibt es selten einen Grund, mit ihren Panikattacken zu Dritten zu gehen und etwas dagegen zu tun. Sie können außerdem häufig auch Dinge oder Aufgaben schlechter delegieren, weil sie lieber alles selbst machen wollen – ein belastendes Gefühl, nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch deren Partner oder Familien.
Doch gibt es kaum einen anderen Weg, als bei sich selbst genau hinzusehen und das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen. An vorderster Stelle ist zunächst die Frage nach dem eigenen Motiv: Will ich meinen Lebensweg / meinen Job machen und hierbei perfekt sein? Oder ist die Idee, perfekt sein zu müssen, ein Weg, damit mich andere Menschen mögen? Letzteres wäre ein starker Hinweis auf ein geringes Selbstwertgefühl und hier kann es Sinn machen, mit einem Therapeuten an sich selbst zu arbeiten. Aber das ist nicht immer nötig, denn man kann sich auch die Frage stellen „Was wäre in einem Jahr, wenn …?“ – Ist dann alles zusammengebrochen, wenn ich jetzt und heute ehrlich mir gegenüber bin? Auch über den sog. Pareto-Effekt nachzudenken, könnte helfen, also nur zu 80 Prozent perfekt zu sein, weil die restlichen 20 Prozent zu viel Kraft und Zeit binden. Die Frage, ob die letzten 20 Prozent sich in der speziellen Situation wirklich lohnen oder dies für das Gesamtergebnis weniger relevant ist, kann oft entscheidend sein.
Es ist also immer von Wert, wenn wir ehrlich uns gegenüber sind, sogar als Trainer und Coach (… und ich kenne aufgrund meiner Arbeit mit CBQ da schon einige Kandidat:innen – freilich ohne Namen zu nennen). Denn es ist schon so, wie im Schlussatz von Billy Wilder Film „Manche mögens heiß“, der da lautet: „Nobody’s perfect.“ Deshalb rate ich eher dazu, mit den eigenen Schwächen offen zu kokettieren, als so zu tun, als hätte man keine. Diese innere Einstellung bringt einem nicht nur aktive Erholung, sondern bekämpft letztlich auch die eigenen Ängste und man kommt zur Ruhe in Fragen des Perfektionismus. Die einen schaffen das mit Sport, andere indem sie sich mit Freunden treffen und es gibt Menschen, denen gelingt es dadurch, dass sie ehrlich gegenüber sich selbst sind und sich nichts vormachen. Es bringt ja auch nichts, denn unsere Mitmenschen sind in dier Richtung ja überaus sensibel. Oder glauben Sie ernsthaft, dass ein Schuhverkäufer, der selbst barfuß läuft, von seinen Kunden respektiert wird?
Ich finde, gegen den Wunsch, zu 80 Prozent perfekt sein zu wollen und die restlichen 20 Prozent dem jeweiligen Zufall zu überlassen, ist grundsätzlich wenig einzuwenden.
Geschrieben von Rainer W. Sauer und © 2023 für BRAIN.EVENTS / CBQ & CBQ blue