DIE GUTE SEKRETÄRIN (…aus Sicht einer ebensolchen im Jahre 1965)

Die Amerikanerin Lucy Graves Mayo (Jahrgang 1909) verfasste 1965 einen Karriereratgeber für „Die erfolgreiche Sekretärin“. Das Werk mit diesem Titel (im Original eigentlich „Wie Sie eine Chefsekretärin werden können“) erschien 1966 in deutscher Übersetzung beim Verlag Moderne Industrie München und kurz danach auch im rororo-Verlag und Mayo gibt darin auf rund 260 Seiten Tipps, welche Qualitäten jede gute Sekretärin ihrer Ansicht nach brauchen würde, „wenn sie tippen und Kurzschrift kann und bereit ist zu lernen um dadurch mehr Geld zu verdienen.“

In den elf Kapiteln ihres Buches widmet sich die Autorin Punkten wie „Was wünscnt sich Ihr Chef?“, „Was haben Sie zu bieten?“, „Cliquen und Büro-Politik“, „Die Fähigkeit, sich anzupassen“ und „Das Privatleben“. – Hier ein kleiner Blick in die Bürowelt Mitte der 1960er Jahre:


Die erfolgreiche Sekretärin … hat eine gute Figur

In Film und Fernsehen hießen sie Moneypenny, Sauerberg, Rehbein oder Häppchen – auf jeden Fall waren Sekretärinnen in der beginnenden zweiten Hälfte ders 20. Jahrhunderts immer auch Repräsentantin ihrer Firma oder des Chefs. Wie sich eine Sekretärin präsentierte, beeinflusste also sowohl den eigenen Erfolg wie auch den der Firma. Nur gut, dass Vorzimmerdamen weiblich waren, denn so konnten diese lt. der Mayo-Philosophie perfekt „… die ihnen anwohnende Anmut zum Ausdruck bringen“.

Und bevorzugte der Herr Chef zuhause vielleicht das Hausmütterchen, so hatte er doch an seine Sekretärin ganz andere Ansprüche – Lucy Mayo schreibt: „Achten Sie auf Ihre Figur. Haben Sie ein wirkliches Figurproblem, könnte dies unter Umständen dazu führen, dass man Sie für eine besonders wichtige oder interessante Aufgabe gar nicht erst in Erwägung zieht.“ Und natürlich gibt die erfolgreiche AUtorin der erfolgreichen Sekretärin gleich ein paar Diät-Tipps mit auf den Weg, „Grapefruit essen“ mit inbegriffen.

Brust raus und graziöser Gang

Apropos mit „auf den Weg“ geben … Lucy Graves Mayo riet der Sekretärin von damals: „Ihr Gang sollte vom Oberschenkel aus bestimmt werden. Schwingen Sie Ihre Beine ‚von oben her‘ mit einem flüssigen, gleitenden Schritt. Versuchen Sie nicht, den Gang ‚mit geknickten‘ Knien zu führen. Mittelgroße Schritte sind von Vorteil, da zu kleine Schritte den Eindruck vermitteln könnten, dass Sie ‚tippeln‘. Zu große Schritte wiederum wirken maskulin. Und stets gilt: Aufrechter Gang und die Brust nach vorne.“

Den Rücken beim Sitzen stets gerade halten

Da die Arbeit als einfache wie Chefsekretärin nicht nur im Laufen erledigt werden kann, rät das Buch „Die erfolgreiche Sekretärin“: „Beim Hinsetzen sollten Sie den Stuhl zuerst mit ihrer Kniekehle vorfühlen. Versuchen Sie auch, den Rücken gerade zu halten, einen Fuß vor den anderen zu setzen und dann erst die Knie zu beugen und sich langsam niederzulassen. Verlassen Sie sich bitte nicht allzu offensichtlich auf das Gesetz des freien Falls, denn es sieht dann leicht so aus, als ‚plumpsten‘ Sie in den Sessel. Also: Üben, üben, üben.“ Und natürlich gilt auch in sitzender Position: „Den Rücken allzeit gerade halten!“

Fräulein Smillas Gespür für … Mode

Doch selbst die geübteste Präsentation im Büroalltag nütze wenig, wenn sich „… die erfolgreiche Sekretärin nicht auch für ihren Chef und die Arbeit schön verpackt“. Laut Mayo sei daher „ein sicheres Gespür für modische Kleidung“ für den Job der Sekretärin essentiell. Sie riet seinerzeit zu „dezenten Farben“ und „kleinen Mustern“ und schreibt: „Denken Sie bei der Wahl Ihrer Stoffe auch an die Kosten der Pflege und Instandhaltung. Wolle ist deshalb besonders empfehlenswert, weil man sie wenig zu bügeln braucht. Bedenken Sie, dass einige Seidenstoffe Wasserflecken annehmen und dass Baumwolle leicht ‚knittert‘ und ‚knautscht‘.“ – Gut zu wissen: nach Mayos Punktesystem für Büro-Kleidung ergibt ein „Kleid mit Pelzbesatz“ einen Extrapunkt.

Körperhygiene und Reinlichkeit

Mag das Auftreten noch so anmutig sein, die Kleidung noch so gepflegt, so kann „ungewaschenes Haar“ oder „der Körpergeruch“ einem nachhaltigen Erfolg im Wege stehen. Auch hierzu machte Lucy Graves Mayo Mitte der 1960er Jahre ihre Gedanken publik. „Sie sollten sich den ganzen Tag hindurch – und zwar jeden einzelnen Tag – frisch und reinlich halten, indem Sie täglich baden oder duschen. Parfum kann hilfreich sein, um die natürlichen Körpergerüche, die Frauen manchmal anhaften, zu überdecken. Vermeiden Sie nach Möglichkeit jedoch ein ‚betäubendes Parfum‘, das anderen auf die Nerven gehen kann.“

Lucy Graves Mayo: „Wendy Scott – Sekretärin“ (Buchcover von 1961) – Abbildung: Rainer W. Sauer

Zum richtigen Umgang mit einem (oder mehreren) „Casanovas“

Wenn Frau Sekretärin auf der Höhe der Zeit ist, was Mode, Aussehen und Düfte betrifft, dann zieht sie natürlich auch männliche Bienen an, weshalb der Umgang mit diesen gelernt sein will – das war schon im Jahre 1965 klar. So rät Lucy Mayo den weiblichen Wesen in einem eigenen Kapitel unter dem Titel „Wie wird man mit einem Büro-Casanova fertig?“ unter anderem: „Entdecken Sie einen solchen ‚Casanova‘ in Ihrem Büro, so versuchen Sie persönliche Komplikationen bei Ihrem notwendigen Kontakt mit diesem Herrn dadurch zu vermeiden, daß Sie sein Selbstvertrauen und sein ‚Ego‘ hinsichtlich seiner betrieblichen Kenntnisse und Erfahrungen, seiner Intelligenz und seines Prestiges im Rahmen des Unternehmens zu stärken suchen.“ Der Schürzenjäger werde es sich sodann wahrscheinlich genau überlegen, ob er riskiert, den Respekt der Sekretärin oder das Ansehen beim Chef durch seine „Don-Juan-Allüren“ aufs Spiel zu setzen.

PS: Im wahren Leben genügte das aber leider oft genug nicht. So berichtete die Schauspielerin Senta Berger in einer Talkshow einmal darüber, wie ein älterer „Casanova“ (und zugleich bekannter deutscher Schauspieler) während der Dreharbeiten zu dem Film „Es muss nicht immer Kaviar sein“, versucht habe, sie zu vergewaltigen. Wenig später habe er sich dann mit dem Faust-Zitat „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan …“ versucht, sich bei ihr zu entschuldigen.

Wichtig ist auch eine wohlklingende Stimme

Hat man das Bisherige beherzigt und ist die Karriereleiter zur Chef-Sekretärin schon mühsam einige Stufen nach oben geklettert, merkt man, dass zur perfekten Gesamterscheinung einer Vorzimmer-Dame auch die Stimme gehört. Mayos Ratschlag von 1965 lautet, was das anbelangt: „Suchen Sie sich eine geübte weibliche Stimme aus und versuchen Sie dann, diese zu imitieren. Üben Sie dabei jedoch das langsame Sprechen in einer nicht allzu hohen Stimmlage. Man ist ein bisschen misstrauisch, wenn jemand zu schnell spricht.“ – Bleibt nur zu fragen, wass genau damals durch die Träume der Chefs geisterte: das Aussehen oder die Stimmen ihrer Sekretärinnen.

Gekonntes Maschinenschreiben unterscheidet die Sekretäin von einer Tippse

Der Untertitel des Buch-Originals lautet ja sinngemäß: eine Chefsekretärin kann dann mehr Geld verdienen wenn sie tippen und Kurzschrift kann. Also sollte sie sich durchaus Gedanken machen, wie optimal mit den vorhandenen Arbeitsutensilien umzugehen sei, schreibt Lucy Graves Mayo. Also: „Um erfolgreicher arbeiten zu können, sollten Sie sich Tricks für schnelleres Maschinenschreiben ausdenken.“ Zu ihren Vorschlägen gehört u. a. „… die Schreibmaschine – egal ob elektrisch oder manuell – auf dem Schreibtisch befestigen zu lassen.“ – Wichtig sei auch, sich genauestens die Gebrauchsanleitung durchzulesen, denn „Die Schreibmaschine muss immer schön sauber gehalten werden, am besten täglich und mit einer trockenen, steifborstigen Bürste.“

Party bis der Chef kommt?

Sitzt das Kostüm mit Pelzbesatz und das Schreibutensil ist festgetackert, sollte die erfolgreiche Sekretätin an ihrer Perfomance als Stimmungskanone feilen, rät die Autorin. Ja, ja, so waren sie, die Sechziger Jahre. O-Ton Mayo: „Sollte Ihr Chef sich bei einer in seinem eigenen Büro stattfindenden Konferenz verspäten, so sollten Sie sich nicht nur bemühen, die Konferenzteilnehmer angenehm zu unterhalten oder den Herren Getränke zu servieren, sondern sie müssen versuchen, einige Erläuterungen hinsichtlich des bei der Konferenz zu behandelnden Themas vorauszuschicken.“ – indes: Entweder saßen Mitte der 1960er Jahre generell keine Frauen mit am Tisch oder wenn doch, dann hatten sie offensichtlich keinen Durst.

Und wie erreicht die erfolgreiche Sekretärin die finale Zufriedenheit des Chefs?

Hat am Ende alles geklappt und der Platz im Chefbüro ist sicher, dann ist trotzdem Vorsicht geboten, sagte Lucy Graves Mayo 1965. Bevor eine Sekretärin Wert auf eine eigene Persönlichkeit lege, müsse sie noch das Folgende beachten: „Bei einem sehr konservativen Chef, der altmodische Ansichten und Umgangsformen zur Schau trägt, empfiehlt es sich gleichfalls ein wenig konservativ zu wirken. Nach Arbeitsschluss haben Sie dann ja Gelegenheit, sich einen gewissen Ausgleich zu verschaffen, indem Sie öfter mal ausgehen und sich dabei dann so frei und ungezwungen geben, wie es Ihnen gefällt.“

Und noch etwas sollte „Die erfolgreiche Sekretärin“ laut Mayos Karriereguide der 60er Jahre niemals vergessen: „Es kann durchaus vorkommen, dass Sie einen Chef bekommen, der seine Aschenbecher zehnmal am Tag geleert haben möchte oder das Geschirr stets sofort gespült wünscht. Die Sache ist dann für Sie ganz einfach: Leeren Sie die Aschenbecher zehnmal am Tag und spülen sie das Geschirrr lieber einmal zuviel.“ – Und wenn sie damals nicht gestorben sind, dann haben die perfekten Sekretärinnen seinerzeit nach Mayos Philosophie auch noch die komplette Kaffeeküche inklusive der Bürofenster gleich mitgeputzt.


Fazit: Heutzutage hat sich das Berufsbild einer Sekretärin – egal ob in einer öffentlichen Verwaltung oder der freien Wirtschaft – doch gegenüber den 1960er Jahren erheblich verändert. Frauen in verantwortungsvollen Positionen definieren sich und ihren Erfolg nicht mehr über Aussehen oder Kleidung sondern vor allem über Fachwissen, Können und Durchsetzungskraft.

Lucy Graves Mayo Buchcover – Abbildung: Rainer W. Sauer

Gleichwohl hatte der Erfolg des Büroratgebers für Lucy Graves Mayo eine ganz andere Grundlage, als man vielleicht denkt: Bereits 1958 hatte sie ein 568 Seiten starkes „Kommunikationshandbuch für Sekretärinnen“ veröffentlicht sowie einen „Leitfaden für effektives Schreiben und Sprechen“. 1961 erschien dann ihr Roman „Wendy Scott“, in dem sie ihre Protagonistin auf 331 Textseiten Anekdoten und Erlebnisse aus der Welt einer Sekretärin berichten lies. Der wiederum kam so gut beim Publikum an, dass man ihr riet, doch am besten einen „echten“ Ratgeber für alle ambitionierten Sekretärinnen zu schreiben, was sie dann ja auch getan hatte. 1982 verstarb die Amerikanerin nach einem, wie sie es beschrieb, erfüllten Berufsleben und einem Unruhestand, in dem sie zwei weitere Bücher veröffentlichte, die jedoch an „Die erfolgreiche Sekretärin“ nicht herankamen.

Geschrieben von und © 2022 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining

Hinterlasse einen Kommentar