HASSERFÜLLTES ZUSCHAUEN | Es gibt einen Grund, warum wir so gerne über andere lästern

„Der Hass ist wie ein Trinker in der Schänke, der fühlt, wie Durst entsteht aus dem Getränke, und gleich der Hydra sich verhundertfältigt. Doch weiss der Trinker wer ihn bald bewältigt – für den Hass jedoch ist’s schwere Strafe, dass er niemals unterm Tisch entschlafe.“ (Charles Baudelaire)

Sie war TV-Schauspielerin, arbeitete für einige Monate in der US-Botschaft in Buenos Aires, bevor sich der englische Prinz Harry in sie verliebte. Sie heirateten und bekamen Kinder. Und wenn sie nicht gestorben sind … werden die Menschen weiterhin über die Herzogin von Sussex lästern. Was ist der Grund dafür?

Unabhängig von ihren Handlungen polarisiert die Duchess, von einigen Hatern despektierlich weiterhin „Miss Markle“ genannt, seit dem Bekantwerden ihrer Beziehung zum britischen Königshaus. Nahezu jeder scheint eine Meinung über sie zu haben, seit sie 2016 an der Seite ihres Prinzen in der Öffentlichkeit erschien. Die Anwürfe waren zum Teil so stark, dass sie und ihr Mann sich entschlossen, das Vereinigte Königreich zu verlassen und in die USA zu ziehen. Doch auch hierfür prägte die Öffentlichkeit einen Begriff, der alleine zu Lasten der Herzogin ging: „Megxit“.

Als sie Jahre später ihre Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellen und mit der Streaming-Doku „With Love, Meghan“ Geld verdienen wollte, und zwar als Herstellerin von Marmelade, einer Kochshow oder geselligen Treffen mit Freundinnen und Freunden, gab es wenig Anerkennung, dafür aber viel Hohn und Spott. Der 2012 von der amerikanischen Journalistin Emily NUSSBAUM geprägte Begriff „Hate Watching“ – sinngemäß übersetzt wäre dies „hasserfülltes Schauen“ – beschreibt dieses Phänomen recht treffend. Menschen schauen bewusst hasserfüllt eine bestimmte TV-Serie oder einen Film, auf ihre Nachbarn oder Politiker, nur um festzustellen, wie mittelmäßig bzw. qualitativ minderwertig sie sind. Und sie schauen trotzdem weiter zu, um dieses Gefühl auch zukünftig bestätigt zu bekommen. Das Ganze funktioniert auch bezogen auf die Musikbranche, Fußballspiele oder eben Persönlichkeiten, Politiker oder andere polarisierende Figuren wie hier eben Herzogin Meghan.

Es ist eine ambivalente Mischung aus Ablehnung und Faszination, die dazu führt, sich intensiv mit Inhalten auseinanderzusetzen, die man eigentlich verachtet. Dabei fühlen sich „Hate Watcher“ keineswegs als „Hater“, wie man in der Internetkultur häufig sog. „Wutbürger“ benennt. Letztere zeichnen sich durch das Verfassen aggressiver Kommentare oder das Initiieren gezielter Mobbingkampagnen im Social Media Bereich aus. Im Gegensatz dazu agieren hasserfüllte Zuschauer weitgehend im Verborgenen, lästern vorwiegend im Familien- oder Freundeskreis und stellen eine vergleichsweise passive, aber dennoch bemerkenswerte Form der negativen Rezeption dar.

Dabei war im Falle von Herzogin Meghan von vornherein klar, was sowohl Befürworter als auch Kritiker von ihrer Show zu erwarten hatten: eine ausgeprägte Selbstinszenierung, kunstvoll in Szene gesetzt und angereichert mit einer Prise dekadenter Realitätsferne. Und auch deshalb legten sich Psychologen schnell fest: Viele Zuschauer werden die Sussex-Show sehen, allein nur deshalb, um später mitreden/-haten zu können – und sich danach besser zu fühlen. Denn hasserfülltes Zuschauen schüttet einerseits Mengen an Dopamin und Adrenalin aus und schweißt andererseits Hate-Watcher zusammen, da man gemeinsam lästern kann und jeder liebt es, Fehler und peinliche Momente herauszuheben und das Unangenehme zu finden, wozu „With Love, Meghan“ eine ideale Angriffsfläche darstellt.

In jeder einzelnen Episode steht die Duchess of Sussex in der Küche einer angemieteten Landhaus-Location und kocht mit Mehl, Butter, Öl und Eiern, wobei sie selten ihre Hände wäscht und fast durchgängig auf eine Kochschürze verzichtet. Stattdessen inszeniert sie sich in hochpreisigen, erdfarbenen Outfits – häufig aus empfindlichen, fettanfälligen Materialien wie Seide und Satin: ein klares No-Go für hasserfüllte Zuschauer und ideale Steilvorlage fürs Lästern. Hinzu kommt, dass die Herzogin versucht, sich als die Lifestyle-Ikone zu positionieren mit persönlichen Tipps für ein stilvolleres Leben. Ob hierzu schräg angeschnittenes Brot, selbst kreierte Blumenkränze oder Kerzen aus dem Bienenwachs der eigenen Bienen notwendig (oder vielleicht sogar wirklich gute Tipps) sind, spielt beim hasserfüllten Zuschauen ganz offensichtlich überhaupt keine Rolle, weil ja alles, was Meghan macht, von vorn herein großer „Mist“ ist … um es noch milde auszudrücken.

Dabei kann die Faszination für eine Person, die wir verachten, eine beinahe suchtartige Dynamik entwickeln, wie es einst Charles BAUDELAIRE dichtete. Virtuelle Feindbilder – insbesondere Schauspieler oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, denen man selten oder nie persönlich begegnet – bieten hier den fruchtbarsten Boden für spekulative, oft absurde Schlussfolgerungen, weil die intensive Auseinandersetzung mit einer verhassten Figur zu einer verzerrten Wahrnehmung führen kann.

Wer jedoch beispielsweise lediglich auf Grundlage eines wütenden Tweets oder eines provokanten Satzes in seinem Kopf eine umfassende fiktive Biografie der verhasste Person konstruiert, anstatt davon auszugehen, dass auch sie, wie der hasserfüllte Zuschauer selbst, ein alltägliches Leben mit Höhen und Tiefen führt, wird mit der Zeit selbstgefällig und fühlt sich als ein besserer Mensch. Das ist letztendlich der wahre Grund, weshalb manche Menschen eine Faszination für jene empfinden, die sie ablehnen, und dies mit einer unwiderstehlich-unersättlichen Intensität.

Geschrieben von Rainer W. Sauer und © 2025 für BRAIN.EVENTS / CBQ & CBQ blue

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