„Die Idee, dass Musik einen Zweck erfüllt, ist schon vor Jahrhunderten entstanden. Die ältesten Musikaufzeichnungen finden sich in den Liturgien, und schon da sieht man die Verbindung zur Meditation. So gesehen kann Musik ganz klar zweckdienlich sein.“ (Max Richter)
Musik anzuhören, sich ihr hinzugeben, beeinflusst zahlreiche physiologische Prozesse im Körper: Sie kann den Herzschlag verändern, die Atemfrequenz und den Blutdruck regulieren sowie die Muskelspannung und den Hormonhaushalt beeinflussen. Musikalische Werke haben zudem die Eigenschaft, zu motivieren, glücklich zu machen, zu beruhigen, zu entspannen, Erinnerungen hervorzurufen und sogar Schmerzen zu lindern. Der Schlüssel zu dieser mentalen Auswirkung liegt in der natürlichen Reaktion des limbischen Systems in unserem zentralen Denkzentrum, das auf harmonische Klänge anspricht. Dieses Hirnareal, in dem Emotionen verarbeitet werden und zugleich für das Schmerzempfinden verantwortlich ist, schüttet im idealfall schmerzlindernden Betaendorphine aus und damit ist belegt, dass man durch Musikhören Schmerzen reduzieren kann – besonders bei sanften, ruhigen oder fröhlichen Melodien. Bestimmte Klänge erzeugen in unserem Oberstübchen auch die Freisetzung von Noradrenalin, das dem Stresshormon Cortisol entgegenwirkt.
Neueste Forschungserkenntnisse der Neurowissenschaft, gestützt durch bildgebende Verfahren, zeigen zudem, dass bei intensiv erlebten musikalischen Momenten ein sog. „Gänsehautgefühl“ entsteht. In solchen Momenten wird im mesolimbischen System – genauer im Nucleus accumbens, auch bekannt als mentalens „Belohnungssystem“ – eine starke Ausschüttung von Endorphinen ausgelöst, die das besondere Erleben verstärkt. Manchmal beschreiben diese Menschen das durch die metapher, dass hierdurch angeblich ihr Herz „hüpft“, was natürlich nicht der Fall ist, da Anomalien der Herzfrequenz nicht nachweisbar sind: eber ist es so, dass sie die erlebte Musik für Momente derart glücklich werden lässt, dass es ein überwältigendes Gefühl auslöst.
Es ist daher kein Zufall, dass Musik seit vielen Jahren gezielt in der Medizin eingesetzt wird – insbesondere in der Psychiatrie, Schmerztherapie und der Rehabilitation von Schlaganfall- oder Alzheimerpatienten. Besonders bei der Behandlung psychosomatischer Symptome erzielt Musik dank ihrer emotionalen Wirkung bemerkenswerte Ergebnisse. Ihre Fähigkeit, die Kommunikationzu fördern, spielt dabei eine zentrale Rolle: Musik eröffnet einen bilateralen Zugang zu Gedanken und Gefühlen, der oft auch ohne Worte möglich ist. Aus diesem Grund bieten zahlreiche Hochschulen mittlerweile Masterstudiengänge in Musiktherapie an. In diesen Programmen wird unter anderem erforscht, wie Musik den Kontakt zu Patienten erleichtert, die vor besonderen Herausforderungen stehen.
Dies betrifft etwa Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen, Koma-Patienten oder Personen, die durch ein Schädel-Hirn-Trauma ihre Sprachfähigkeit verloren haben. Ebenso unumstritten ist die beruhigende Wirkung, die meditative Musik auf den Geist entfaltet. Doch trotz der nachgewiesenen positiven Auswirkungen von Musik auf Geist, Stimmung und Gesundheit bleibt ihr Einfluss auf die menschliche Intelligenz nach wie vor wissenschaftlich umstritten. Ein Experiment allerdings, dass die amerikanische Psychologin Frances RAUSCHER in den 1990er-Jahren durchführte und bei dem Probanden jeweils zehn Minuten lang Mozarts Sonate für zwei Klaviere anhören durften (bekannt als der „Mozart-Effekt“) belegte, dass diese durchgängig in einem anschließenden Intelligenztest deutlich besser abschnitten als jene, die dieses Stück nicht gehört hatten. Doch was kann man daraus schließen?
Es ist aus derHirnforschung wissenschaftlich belegt, dass Musik – und ganz besonders das aktive Musizieren – die Bildung neuer Verbindungen zwischen den Nervenzellen im Gehirn fördert. Und: Diese Neuvernetzungen bleiben möglicherweise ein Leben lang bestehen. Bei Profimusikern hat das intensive Üben und Spielen sogar sichtbare Auswirkungen auf die Hirnstruktur: Das Corpus callosum, der Balken, der die beiden Gehirnhälften miteinander verbindet und ihre Koordination ermöglicht, ist bei ihnen deutlich stärker ausgeprägt als bei Menschen, die nicht so intensiv oder gar nicht musizieren. Untersuchungen zeigen außerdem, dass die Gehirnregion, in der Musik gespeichert wird, im Vergleich zu anderen Bereichen, etwa dem autobiografischen Gedächtnis, länger funktionsfähig bleibt.
Diese Erkenntnis machen sich Musiktherapeuten zunutze, beispielsweise in der Arbeit mit Alzheimer-Patienten. Selbst im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit können viele Betroffene Lieder und Melodien aus ihrer Vergangenheit fehlerfrei erinnern und singen – auch dann, wenn sie diese seit Jahrzehnten nicht mehr gehört haben. Also hilft Musik durchaus, verloren Intelligenz nach und nach wieder zurückzugewinnen. Entscheidend scheint auch heutiger Sicht auch die Auswahl der Art der Musik zu sein, die man für bestimmte Effekte wählt: Eine Bach-Komposition, die mit orchestraler Harmonie und virtuosen Klangfolgen beeindruckt, wirkt beispielsweise anders als ein Heavy-Metal-Song mit markanten Schlagzeugbeats und E-Gitarrenklängen.
Zu beachten ist allerings, dass Menschen unterschiedlich auf Musik reagieren, wie auch die Erfahrungen aus der therapeutischen Medizin zeigen. Der Kognitionswissenschaftler Stephen PINKER bezeichnete Musik einst als „auditory cheesecake“ (also: „akustischen Käsekuchen“) und meinte damit, dass sie kein lebenswichtiges Element sei, sondern nur ein angenehmer Genuss. Andere Neurowissenschaftler machen dennoch deutlich: Der gezielte Einsatz der passenden Musik kann viel bewirken.
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