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Der Konflikt zwischen einer unangenehmen Aufgabe und der Abwehr dagegen manifestiert sich häufig in Form eines psychischen Kompromisses. Dieses Spannungsverhältnis wird besonders anschaulich durch die sog. „freudschen Fehlleistungen“, bei denen verdrängte Inhalte unbewusst in das Verhalten oder die Sprache einfließen. Ein klassisches Beispiel ist der Versprecher eines Bürgermeisters, der ein Stadtfest mit den Worten eröffnete: „Ich erkläre den Frühlingsmarkt für geschlossen!„. Dies zeigt eine doppelte Dynamik, denn einerseits wird die bewusste Absicht der Eröffnung umgesetzt, andererseits aber tritt sein offensichtlich verdrängter Wunsch in den Vordergrund, das Ganze für beendet zu erklären, weil er vielleicht einen anderen, für ihn wichtigeren, Termin im Kopf hatte.
Diese Art dieser sogenannten „symptomatischen Kompromissbildung“ ist charakteristisch für die nach Sigmund Freund benannte mentale Fehlleistung: Während die bewusste Handlung den äußeren Anforderungen gerecht wird, erlaubt es einem die sprachliche Fehlleistung dem unbewussten Wunsch Ausdruck zu verleihen; laut Freuds Interpretiertation eine unfreiwillige Selbstenthüllung, die das deutlich macht, was durch unsere Abwehrmechanismen im Oberstübchen ansonsten verborgen geblieben wäre.
Freundsche Fehlleistungen, Verdrängen, Vergessen und ähnliche Phänomene zeigen, dass das Unbewusste stets Einfluss auf unser Verhalten nimmt. Sie verdeutlichen zugleich den subtilen Einfluss verdrängter Dinge, die später nicht direkt, sondern in verfremdeter und oft scheinbar zufälliger Form wieder in Erscheinung treten. Da verdrängte Inhalte also im Unbewussten fortbestehen, ist die Verdrängung daher so gut wie niemals endgültig abgeschlossen. Jedes Mal, wenn ein verdrängtes Thema – manchmal sogar durch ein einziges Geräusch, einen Ort oder einen Geruch – erneut ins Bewusstsein drängt, muss unser Geist den Abwehr-Algorithmus von Neuem aktivieren. Diese wiederholte Verdrängung erfordert jedoch anhaltende psychische Energie, die somit nicht für wirkliche Entwicklungsprozesse unseres Geistes zur Verfügung steht.
Hinzu kommt: Vermeidungs- bzw. Verdrängungsstrategien können ganz erhebliche Einschränkungen nach sich ziehen. Eine Person, die beispielsweise eine Phobie vor dem Abgeben einer Steuererklärung entwickelt hat, könnte nicht nur alltägliche Aufgaben wie das Sammeln von Belegen meiden, sondern auch darauf verzichten, sich mit Freunde Geld vom Finanzamt zurückzuholen. Letztlich zeigt sich, dass Verdrängung nicht nur kurzfristig die Auseinandersetzung mit belastenden Inhalten vermeidet, sondern langfristig die psychische Freiheit und Lebensqualität erheblich einschränken kann.
Ein zentraler Bestandteil meiner Coachings ist oft die Klärung unbewusster Motive, die hinter wiederkehrenden Handlungsmustern stehen. Mehr als einmal zeigt sich dabei, dass scheinbar destruktive Verhaltensweisen tief in den emotionalen Erfahrungen des bisherigen Lebens verwurzelt sind. Hinzu kommt. dass es Verdrängungsmuster gibt, besser ausgedrückt: dass sich also auch zukünftig ein unbewusster Wiederholungszwang ergibt, und zwar auch, um frühere mentale „Verletzungen“ zu bewältigen. Leider führen solche Muster aber meist nicht zur erhofften Lösung, sondern zu erneuten Enttäuschungen. Erst die bewusste Aufarbeitung dieser Dynamik kann die Wiederholung durchbrechen und die Grundlage für freieres, weniger konfliktbeladenes Handeln schaffen.
Vergessen und Verdrängen ist jedoch bei weitem nicht nur Dein individuelles psychisches Phänomen, sondern kann auch auf Teamebene auftreten, weshalb in bestimmten Fällen Teamcoaching Sinn macht. Studien haben belegt, dass kollektiv als schwierig empfundene Erlebnisse bzw. Ereignisse der Arbeitswelt durchaus auch von einem kompletten Team verdrängt werden können, beispielsweise wenn sie psyschisch schmerzhaft, beschämend oder konfliktreich waren. Doch verschwinden diese Ereignisse nicht aus dem kollektiven Gedächtnis, was gefährliche Auswirkungen haben kann, kommen sie doch in unerwarteten Momenten zurück und äußern sich bis hin in öffentlichen Debatten, Skandalen oder pathetischen Rechtfertigungen.
Die Verarbeitung solcher kollektiver Traumata erfordert im Teamcoaching ähnliche Schritte wie der Umgang mit individuellen Verdrängungen. Es beinhaltet auch, Raum für Dialoge zu schaffen, in dem die verschiedenen Sichweisen auf das verdrängte Ereignis zur Sprache kommen. Nur durch eine solche aktive Auseinandersetzung ist es möglich, den Kreislauf von Verdrängung und Wiederkehr zu durchbrechen und langfristig zu einer Verbesserung im Umgang mit Situationen beizutragen.
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Geschrieben von Rainer W. Sauer und © 2021 bis 2022 für BRAIN.EVENTS / CBQ & CBQ blue