„Wir können heilfroh sein, dass Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird: ein durchgeknallter Nationalist, der sich berauscht, Grenzen zu verschieben.“ (Sahra Wagenknecht)
Welche psychologischen Mechanismen bedient Populismus bei den Menschen, die ihm erliegen? Zum einen ist das die belohnende Wirkung eines sog. sozial-wirtschaftlichen Abwärts-Vergleichs, selbst auf gleicher Ebene. Denn wenn man sich mit jemandem vergleichen kann und sich dabei überlegen fühlt, erzeugt das ein schnelles Belohnungsgefühl, das sich neuro-psychologisch nachweisen lässt und sozusagen die billigste Art darstellt, sich selbst einen Dopaminkick zu verschaffen. Sich über andere erheben zu können, nach dem Motto: „Also mein Kumpel, der schafft es nie, Urlaub zu machen. Meine Frau und ich dagegen …“. Das Ganze funktioniert aber genauso in die entgegengesetzte Richtung, heißt: Ein sozialer Aufwärts-Vergleich erzeugt einen mit Schmerz vergleichbaren Effekt („Diese Sch…-Politiker verdienen einen A…. voll Geld und machen nichts dafür. Aber das ist schließlich mein Steuergeld.“). Solcher Neid ist ein neurophysiologisch nachweisbar unangenehmes Gefühl und der Populismus bespielt gleichzeitig beide Instinkte.
Der Blick auf die Eliten „da oben“, von denen man sich gegängelt, ausgenutzt, missachtet fühlt ist ebenso ein Element, mit dem Populisten Menschen ansprechen und die hasserfüllte Verachtung für „die Fremden“, die Faulen, die Andersartigen, auf die man herabblicken kann und die einen selbst gleichzeitig in einem besseren Licht erscheinen lassen, ein anderes. Hinzu kommt, dass sich in Gruppen die Fiktion einer gemeinsamen Unterdrückung leichter erzeugen lässt, auch weil man ja mit seinen Belangen offenbar nicht allein ist. In Diktaturen wurde das schon immer so praktiziert, egal ob es um Juden ging, Minderheiten oder Andersdenkende. Letztlich funktioniert das über die Erzeugung einer Art von Stammesbewusstsein, wobei Populisten so tun, als seien sie Teil der Masse, obwohl sie oft elitär sind.
Beispielsweise Donald Trump, der als früherer US-Präsident so „auf Augenhöhe“ zu seinen Unterstützer:innen sprach (und viele Millionen US-Dollar an Spenden bei ihnen einwarb), als dabei als Milliardär so tat, wäre er selbst einer mitten aus dem Volk. So suggerierte er genau dieses Stammesbewusstsein. Dieser Move, sprich: das Abgrenzen gegen andere, die eigene Stilisierung zum Opfer, das Aussprechen der dunkelsten menschlichen Ressentiments, macht ansonsten nicht-salonfähige Gedanken populär und das fällt auf fruchtbaren Boden, weil viele Menschen den Lügen eines Populisten glauben, dem sie vertrauen. Dies ist auch schon immer das Kernelement aller Rechtsradikalen gewesen, die mit der Ablehnung und Abwertung anderer punkten konnten. Folglich wurden diese schnell auch für Attentate, Brände, den Kriegsausbruch etc. verantwortlich gemacht. Es ist „Die Psychologie der Massen„, wie sie Gustave LE BON in seinem gleichnamigen Buch beschrieb.
Was in Deutschland früher „die Juden“ waren hat sich inzwischen auf vermeintlich nicht-deutsche Bevölkerungsgruppen verschoben. Dabei ist Rassismus im Kern irrational, wofür als Beispiel die Idee von der sog. Remigration dienen kann, also der Verdrängung oder Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund – egal ob in Europa oder den USA. Würde dies gelingen, was eine für die breite Masse der Bürger durchaus ein reizvolles Gedankenspiel darstellen könnte, würde (egal welcher) Staat komplett zusammenbrechen. Etwa ein Viertel der Menschen in unserem Land hat einen Migrationshintergrund; überwiegend tragen sie aber zum Gesamtsteueraufkommen bei. Selbst von den Menschen, die als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, etwa aus Syrien oder der Ukraine, geht die große Mehrheit inzwischen einer Arbeit nach, teilweise als dringend gesuchte Fachkräfte, beispielsweise im Pflegebereich. In Deutschland arbeiteten zum Beispiel lt. einer Ärztestatistik 2024 etwa 5.800 Ärztinnen und Ärzte aus Syrien.
Der aktuelle Populismus von AfD oder BSW erfindet also sozusagen eine nicht-wirklich belegbare parallele Wahrheit und zwar durch Desinformation, denn wer den politischen Gegner („Die Altparteien“ / „Die Versager in der Regierung“) hasst und sich mit den Seinen stark identifiziert, teilt auch höchst fragwürdige Informationen aus der eigenen Blase nur zu gerne in sozialen Medien. Durch die Verkürzung und Vereinfachung von Sachverhalten wie dem russischen Angriff auf die Ukraine, also dem Weglassen wichtiger Informationen und der Verdichtung anderer, schürt Ängste, die nicht den Tatsachen entsprechen. In den USA etwa haben / hatten die Republikaner und die mächtige Öl- und Gasbranche dafür gesorgt, dass nur knapp ein Viertel der Wählerinnen und Wähler der Republikaner glauben, dass die Aufheizung des Planeten vom Menschen verursacht wird. Und auch in der Bundesrepublik gibt es 10 bis 15 Prozent Klimawandel-Leugner.
Geglaubt wird Populisten inzwischen fast alles. Ob Trumps Behauptung, Migranten in Springfield/Ohio würden Hunde und Katzen essen objektiv stimmt, ist völlig egal, solange es Menschen gibt, die (aus welchen Gründen auch immer) beschwören, dass dem so ist. Ebenso ist das mit dem BSW-Plakat zur Landtagswahl in Thüringen, auf dem zu lesen war „Krieg oder Frieden? Sie haben jetzt die Wahl“. Das reichte aus, dass jede Menge Leute es glaubten. Um solche Märchen zu verbreiten, braucht es eine Menge Stammesbewusstsein, verbunden mit dem Glauben, dass diejenigen, die man verachtet oder ablehnt, alles unternehmen, um „die Wahrheit“ zu vertuschen. Also verschafft einem das Weiterleiten von Desinformation Solidarität mit anderen und Populisten erreichen genau das, was sie wollen: Unterstützung. Desinformation in der Politik, toxische Rhetorik, Verallgemeinerungen und bewusste Lügen, die im politischen Diskurs nie da gewesene Aggressionen erzeugen, sind bei Populisten an der Tagesordnung. So entstand auch die beliebte, von der AfD in die Welt gesetzte, Phrase der „Merkel-Diktatur“ einer Kanzlerin, die abgeschirmt „im Führerbunker“ unser Land zugrunde richtet.
Nebenbei bemerkt ist festzuhalten, dass es Populismus im engeren Sinn primär in Demokratien gibt, angefangen beim alten Rom. In der feudalistischen Gesellschaft des Mittelalters mit Leibeigenen und Herrschern waren dagegen keine Populisten gefragt, weil das für diese lebensgefährlich gewesen wäre. Die Machtverhältnisse der Ständegesellschaft waren so lange fest geregelt, bis sie sukzessive abgeschafft wurden. Beachten muss man aber, dass es historisch gesehen auch Populisten waren, die überfällige gesellschaftliche Umbrüche auslösten – etwa in der Französischen Revolution 1789, als das System der Monarchie gestürzt wurde, weil die Mehrheit aus dem Volk gegen den korrupten französischen Adel aufbegehrte. Doch das war damals keine Fiktion von Unterdrückung, wie sie Populisten heutzutage beschwören, sondern die Unterdrückung des Volkes war tatsächlich echt.
Populismus beinhaltet für sich betrachtet stets die Erzählung vom unterdrückten Volk. Wie sich Inhalte eines weiteren, im Grunde positiven, Beispiels umkehren können, ist die friedliche Revolution zum Ende der DDR-Zeit 1989, als die Bürger auf die Straße gingen und „Wir sind das Volk“ riefen. Das war eine wahrhaftige und notwendige historische Revolution, deren Kampfbegriffe und Ideen sich jedoch der bundesdeutsche Populismus von heute bedient, weil der Sieg der Unterdrückten gegen einen autoritären Staat positiv besetzt ist. Populisten nutzen und benutzen genau diese Assoziation, auch in Form der historischen Worte „Wir sind das Volk“. Derartige Vergleiche erzeugen bei den Menschen, die den Worten von Populisten erliegen, Trugschlüsse und man will ihnen nur zu gerne glauben. Auch wenn die Menschen der Bundesrepublik aktuell nicht in einer Diktatur leben, wie zu DDR-Zeiten. Es gibt auch keinen permanenten wirtschaftlichen Missstand oder Mangel an den Gütern des täglichen Lebens. Deutschland ist nach wie vor die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und die meisten Menschen in unserem Land sind, verglichen mit solchen in der Dritten Welt, reich.
Fazit: Es geht Populisten um Macht, um Geld, doch bieten sie hierfür keine Lösungen für die von ihnen geschilderten Probleme an – sie kritisieren nur. Ihre politische Kernkompetenz besteht darin, Leute dazu zu bringen, sie zu wählen – sie stoßen aber weder politische Prozesse an, noch sind sie an Lösungen interessiert. Und sie fühlen sich in der Opposition am wohlsten – nur dort können sie weiter kritisieren. Ob sie auch (und wie) regieren können, bleibt offen.
Geschrieben von Rainer W. Sauer und © 2022 bis 2024 für BRAIN.EVENTS / CBQ & CBQ blue