Inwieweit besitzt oder verfügt künstliche Intelligenz (KI) tatsächlich über Intelligenz? Per Definition ist dies eine Fähigkeit des Menschen, abstrakt und vernünftig zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten. In diesem Sinne betrachtet, lautet die Antwort auf die Eingangsfrage „Nein!“, denn Computersysteme, Roboter etc. sind ja keine Menschen.
Abgesehen davon ist KI, die unser tägliches Leben begleitet, ein großes Thema, das täglich für Diskussionen sorgt. Es gibt Menschen, die warnen vor den möglichen Gefahren, andere versuchen, uns zu beruhigen, und wieder andere wägen die Vor- und Nachteile ab. Dabei wird oft die Frage gestellt, ob Systeme wie ChatGPT und ähnliche Technologien ein Segen für die Menschheit sind oder der Beginn der Herrschaft von Maschinen. In diesen Diskussionen werden viele Metaphern und Vergleiche bemüht und verwendet, um die verschiedensten KI-Fähigkeiten menschlicher wirken zu lassen: Intelligenz, Lernen, Sprechen, Denken, Bewusstsein, Urteilen, Entscheiden, Fühlen, Kreativität und so weiter.
Zugleich werden Parallelen gezogen zwischen den Funktionen des menschlichen Gehirns und denen aus der Computerwelt. So vergleicht man den Gedächtnis-„Speicher“, „Ablaufcodes“ oder verschiedene Algorithmen. Auch wird gerne darauf hingewiesen, dass im menschlichen Gehirn ja elektrischer Strom fließen würde – genau wie in einem Computersystem. Aus der Science Fiction-Literatur, also kulturellen und intellektuellen Beiträgen, werden Abgleiche versucht zwischen spekulativen Szenarien und echter generative Künstlicher Intelligenz, wie sie heutzutage beispielsweise in ChatGPT und ähnlichen Systemen zu finden ist, und es stellt sich die Frage, ob so etwas bereits mit „echter“ Intelligenz gleichzusetzen wäre.
Dabei ist ja bereits der Name „künstliche Intelligenz“ nicht wertfrei zu betrachten. Wäre nicht vielleicht ein Ausdruck wie „Intelligente Unterstützung“ passender? Interessanterweise hat sich vor mehr als zweihundert Jahren bereits ein Philosoph namens Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Universitätsprofessor u. a. in Jena und bekannt geworden auch als Kritiker von Immanuel Kant, sehr kluge Gedanken über diese geistigen Tätigkeiten gemacht, die uns heute beschäftigen.
Die zentrale Frage, die sich uns im Sinne Hegels stellt, lautet: Kann ein Computersystem tatsächlich denken? Kann es sich durch künstliche KI zu einem bewussten Wesen entwickeln, mit einer Art „Verstand“ beginnen, die Welt zu erkennen und sowohl Gutes als auch Schlechtes für uns zu tun? Für ein Computersystem (und somit auch für die KI) ist ein Auftrag nichts weiter als eine Abfolge von zwei physikalischen Zuständen: dem „Ein“ oder „Aus“ von Schaltern auf einem Halbleiterchip. Die menschlichen Konstrukteure seiner Chips haben diesen Zuständen Symbole zugeordnet: 0 und 1. Zahlen wurden gewählt, weil man mit ihnen rechnen kann. Deshalb nennt man das Gerät auch Computer – es ist letztlich nichts anderes als eine programmierbare Rechenmaschine. Deren Programmcode ordnet nun bestimmten Abfolgen dieser Zahlen in vielen Zwischenschritten alles der Erfüllung des Auftrags unter, wobei die Gleichsetzung der dafür genutzten Algorithmen als „neuronale Netze“ im Grunde nicht mehr als ein cleverer Marketing-Trick ist, übrigens ebenso in die Irre führend, wie der Begriff „künstliche Intelligenz“.
Faktisch sind künstliche neuronale Netze nichts weiter als mathematische Formeln, die mit symbolischen Zahlen arbeiten. Sie wurden einst (und werden auch heute noch) durch sehr simple, mittlerweile extrem veraltete, Vorstellungen der Funktionsweise von „echten“ Neuronen im zentralen Denkorgan des Menschen inspiriert, was aber mit menschlicher Intelligenz wenig gemeinsam hat.
Wo soll an diesem Punkt grundsätzlich eine echte Vorstellung von der Sache oder ein Bewusstsien stecken? Ein gutes Beispiel dafür, dass KI keine echte Bedeutung oder Inhalte versteht, ist „ihre“ Fähigkeit, mit Sprache/n umzugehen und möglichst perfekt zu übersetzen, ohne die Vokabeln oder die Grammatik wirklich zu kennen oder zu verstehen. Wie geschieht dies bei uns Menschen, also: lernt ein intelligent unterstützendes Computersystem Sprache/n ähnlich wie ein Mensch? Anfangs ist der Lernprozess auf beiden Seiten als einfaches Nachahmen oder Gewöhnung zu verstehen. Solches Lernen ist im Sinne von Vera F. Birkenbihl jedoch nur ein mechanisches Wiederholen („pauken“), ohne wirkliches Verständnis. Echtes Lernen hingegen erfordert, dass der Lernstoff durch Nachdenken oder Verstehen vom Gehirn begriffen wird – etwas, das für KI unerreichbar ist, weil hierzu die Algoritmen fehlen.
Das zeigt sich bereits beim Spracherwerb. Ein Kind lernt eine Sprache nicht durch das Adaptieren von Milliarden von Texten und deren statistische Analyse. Dies ist bereits zeitlich nicht möglich, sodass das menschliche Gehirn auf andere Methoden setzt. Es lernt eine Sprache – und gleichzeitig auch das komplexe Denken – indem es durch eigene Erfahrungen und Beobachtungen Bilder und Vorstellungen im Gedächtnis speichert und diese mit den Wörtern, die es hört, verknüpft. Informationen werden im Geist an bereits vorhandene Cluster „angedockt“. So kann Sprache beispielsweise auch in Form von Gebärden erfolgen, wie es bei gehörlosen Menschen der Fall ist, und variabel eingesetzt werden. Kinder und Jugendliche brauchen erstaunlich wenig Material, um eine Sprache zu lernen – auf jeden Fall keine riesigen Datenmengen.
Sie lernen Sprache/n durch deren Gebrauch, indem man sich an dem Gehörten orientiert und die grammatikalischen Regeln intuitiv erfasst, ohne je eine Grammatik zu studieren. Dies ist eine intelligente Leistung, die sich nicht programmieren lässt. Ein Kind könnte in der Theorie z. B. alles über Bäume lesen und einen Baum nahezu perfekt zeichnen, ohne wirklich zu verstehen, was ein Baum ist. Dies durch Selbsterfahrung selbst zu erkennen, Bäume in ihrer Vielfalt zu spüren, sie zu fühlen und zu riechen, Blattwerk auf dem Boden zu sehen und mitzubekommen, wie Blätter erst grün, dann braum werden und im Herbst zu Boden sinken: im intelligenten Denken verschmilzt dies alles miteinander.
So wird ein einziges Wort („Baum“) im Gehirn zu einer vielfältigen, aber individuellen Information aus Wissen, Erfahrungen, Gerüchen, Gefühlen, Erinnerungen und so weiter. Wie unser Geist dies durch komplexe elektrochemische Prozesse gehirn-genial bewerkstelligt, ist nicht annähernd vollständig bekannt. Aber dieses Wissen ist auch nicht notwendig, damit unser Gehirn seinem Zweck nachkommen kann, da es letztendlich nur die physischen Grundlagen des Denkens beschreibt – nicht das, was Denken und Verstehen wirklich sind. Mit jedem Denkprozess „fliehen wir aus des Lebens Schranken, in die Freiheit der Gedanken“, wie ich mein Seminar „Die Vera F. Birkenbihl Story“ benannt habe.
Selbst wenn also eine KI in ihren Feststellungen gegenüber uns sehr überzeugend argumentiert, handelt es sich dabei für sie lediglich um einen inhaltsleeren elektro-physikalischen Zustand. Analysieren wir beispelsweise, was durch Künstliche Intelligenz generierte Bilder sind, so stellt sich heraus, dass KI diese aus einer Vielzahl von Mustern in einem Computersystem als eine Abbildung generiert, die uns wahrscheinlich emotional berühren, für die KI selbst aber nichts anderes darstellen, als binäre, bedeutungslose Schaltzustände von Transistoren, an deren Ende ein „Auftrag erfüllt!“ steht. Eine Bewertung in „gut“, „schlecht“, „anmutig“ oder „langweilig“ findet nicht statt. Bei Musik, die durch „intelligente Unterstützung“ entstanden ist, ist dies ebenso.
Daraus folgt eigentlich schon, warum KI nicht wirklich intelligent sein kann – und somit auch nicht wirklich sprechen, musizieren, malen, denken oder urteilen kann, wie dies bei einem menschliches Wesen der Fall ist. Trotzdem lohnt es sich, weiter darüber nachzudenken, was Sprechen, Denken und Urteilen überhaupt sind. So wird endgültig klar, weshalb diese Fähigkeiten durch das bloße Rechnen mit Nullen und Einsen allenfalls simuliert oder fingiert sein können, eine „Intelligenten Unterstützung“, aber niemals wirklich menschlich werden und handeln kann.
Geschrieben von Rainer W. Sauer und © 2024 für BRAIN.EVENTS / CBQ & CBQ blue