NEBENBEI BEMERKT: Alfons Yondraschek und eine Zigarettenlänge von Frank Zappa

Unter dem Titel „Ankomme Freitag, den 13.“ veröffentlichte der Sänger, Komponist, Texter und Liedermacher Reinhard Mey 1969 sein zweites deutsches Studioalbum. Im titelgebenden Song, der auf die abergläubischen Wirren eines solchen Tages eingeht, wird auch der Name „Alfons Yondraschek“ erwähnt, wobei Mey singt „Das Telefon klingelt: »Nein, ich schwöre, falsch verbunden. Ich bin ganz bestimmt nicht Alfons Yondrascheck«.

Mey nutze den Namen „Alfons Yondraschek“ zweieinhalb Jahre später als Pseudonym, um unerkannt mit dem von ihm komponierten und getexteten Titel „Gute Nacht, Freunde“, interpretiert von dem Westberliner Künstlerehepaar Inga & Wolf Preuß, am Deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest 1972 in Edinburgh teilnehmen zu können, der am 19. Februar 1972 in Berlin stattfand. Wenig später nutzte Reinhard Mey den Chanson als Abschluss seines Studioalbums „Mein achtel Lorbeerblatt“.

Kurios ist, dass ELITE SPECIAL, die Plattenfirma von Inga & Wolf, die Single auf dem Cover als „Gute Nacht Freunde“ (also ohne Kommatrennung) vermarktete und auf der Hülle zudem unrichtige Angaben machte. Zwar gelangten bei „Ein Lied für Edinburgh“ von den 12 vorgestellten vier statt, wie vorgesehen, drei Titel in die Endauswahl, da sowohl Su Kramer als auch Inga & Wolf hier mit gleicher Punktzahl drittplaziert waren, jedoch belegte „Gute Nacht, Freunde“ in der Endauswahl der vier Titel abgeschlagen den vierten Platz. Gleichwohl stand auf dem Singlecover zuerst die Angabe „Grand Prix Eurovision de la Chanson III. Platz“ was später in „Vorentscheidung Grand Prix Eurovision de la Chanson III. Platz“ korrigiert wurde – beide Angaben waren also unzutreffend.

Der Chanson als solcher kam aber bei den Zuhörern außergewöhnlich gut an und von der SIngle verkauften sich mehr als 500.000 Exemplare, was Inge & Wolf eine Goldene Schallplatte einbrachte. Das lag auch daran, dass in „Gute Nacht, Freunde“ zwar, wie im Schlager üblich, rund ein Dutzend Mal die Titelzeile vorkommt, der Inhat aber einen für den 1972er Vorentscheid ungewohnten Tiefgang hatte: »Gute Nacht, Freunde. Es wird Zeit für mich zu geh′n. Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette …«. Und tatsächlich gelang es Mey, seinem Chanson mit 2 Minuten und 51 Sekunden eine „Zigarettenlänge“ zu verpassen.

Während andere Interpreten damals gefühlt von „Friede, Freude, Eierkuchen“, Liebesglück und Liebesleid sangen, beschrieb Reinhard Mey in seinem Text den Abschied von Freunden, die anderen Menschen selbstlos und ohne große Worte darüber zu machen, geholfen hatten. Auch heute noch, nach mehr als einem halben Jahrhundert, wert, ihn wiederzugeben:

»Für den Tag, für die Nacht unter eurem Dach habt Dank. Für den Platz an eurem Tisch, für jedes Glas, das ich trank, für den Teller, den ihr mir zu den euren stellt, als sei selbstverständlicher nichts auf der Welt. /// Habt Dank für die Zeit, die ich mit euch verplaudert hab und für eure Geduld, wenn’s mehr als eine Meinung gab. Dafür, dass ihr nie fragt, wann ich komm oder geh, für die stets offene Tür, in der ich jetzt steh. /// Für die Freiheit, die als steter Gast bei euch wohnt. Habt Dank, dass ihr nie fragt, was es bringt, ob es lohnt. Vielleicht liegt es daran, dass man von draußen meint, dass in euren Fenstern das Licht wärmer scheint.«

Reinhard Mey 1972 auf dem Cover seiner LP „Mein achtel Lorbeerblatt“ (Bildquelle: Intercord)

Pseudonyme werden heutzutage besonders in den Sozialen Medien und in der digitalen Kommunikation verwendet, wobei es aber regelmäßig nicht darum geht, bedeutende Werke unerkannt zu veröffentlichen. Meist ist der Zweck, die wahre Identität zu verbergen, um für Posts nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. Meys Beweggründe waren andere, wie der heute über 80-Jährige, einst verriet. Zuerst in Frankreich erfolgreich (1967 bekam er bekam er einen französischen Plattenvertrag und veröffentliche als Frédéric Mey erste Schallplatten), kam schließlich auch der Erfolg in der Bundesrepublik. Er sei stets ein hellwacher Beobachter seiner eigenen Hoffnungen und Sehnsüchte, seiner Verletzlichkeit und Fehlbarkeit, seiner Niederlagen und Siege gewesen, so erzählte er einmal, und da gehöre es auch hinzu, in die Schlagerwelt einen in Klang gegossenen Fels in der Brandung zu stellen – heißt: Reinhard Mey konnte nicht anders.

Allerdings nicht als Reinhard Mey sondern als „Alfons Yondraschek“ und darüberhinaus mit Inga & Wolf, die als Duo ein Lied aus der Sicht einer Einzelperson sangen, die sich verabschiedet. So gesehen hatte Mey damals in „Gute Nacht, Freunde“ ein Potential versteckt, das sonst wohl nur außergewöhnliche Künstler wie Frank Zappa so geschafft und geschaffen hätten. Übrigens war Meys Pseudonym mit der Grund, dass Stefan Raab 1998 seinen Song „Guildo hat euch lieb“ für Guildo Horn & Die Orthopädischen Strümpfe als „Alf Igel“ veröffentlichte.

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