Zum 1. August 1998 trat in Deutschland die Rechtschreibreform in Kraft, die das Land fit machen sollte für das 21. Jahrhundert. Doch löste sie grosse Verwirrung unter den Menschen aus und spaltete die Nation in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Nach einem Vierteljahrhundert machen es alle Menschen „richtig“, die nach 1990 geboren wurden und dazu noch diejenigen, die von Berufswegen mit Sprache zu tun haben. Gefühlt alle anderen wechseln fast willkürlich zwischen verschiedenen erlaubten Schreibweisen und suchen sich aus, wo und wie man ein Komma setzt.
„Die Sprache ist für mich wie Trinkwasser und da lasse ich mir nicht reinspucken.“ (Heinz Rudolf Kunze)
Zu Luthers Zeiten sprachen die Menschen in ihren heimischen Dialekten und schrieben, sofern sie des Schreibens mächtig waren, wie sie sprachen. Noch zu Goethe- und Schillers-Zeiten war das bei der mehrheit der Deutschen so und es ist überliefert, dass Johann Wolfgang hessisch babbelte und Friedrich arg schwäbelte. Da hatte sich aber zumindest die Schriftsprache vereinheitlicht, da eine einheitliche deutsche Sprache in den Fürstentümern in der noch nicht geeinten Nation nützlich erschien. Umsomehr nachdem nachdem im Deutschen Reich die Verordnungen des Kaisers von allen verstanden werden mussten: Das „Neuhochdeutsch“ entstand als überregionale Sprache – eine Premiere für Deutschland.
Da es aber selbst im ausgehenden 19. Jahrhundert noch keine für den gesamten Sprachraum vereinheitlichte Rechtschreibregelung gab, wurde 1901 auf der „Orthographischen Konferenz“ in Berlin erstmals eine „für alle Länder verbindliche Rechtschreibregelung“ gefunden, deren Grundlagen die preussische Schulnorm und das Wörterbuch des Gymnasialdirektors Konrad Duden waren. 75 Jahre später wurden außerhalb der Bildungsreinrichtungen immer noch zahlreiche Varianten in der Schreibweise und Linguisten hatten das Gefühl, dass die Menschen in Deutschland immer schlechter in ihrer Rechtschreibung werden.
Seit 1987 arbeiteten die Linguisten am Mannheimer Institut für deutsche Sprache deshalb im Auftrag des Kultusministeriums an neuen, einfacheren Regeln, die am 1. Juli 1996 als „Neuregelung der Deutschen Sprache“ von den deutschen Kultusministern und zudem VertreterInnen aller deutschsprachigen Länder für gut befunden und unterzeichnet wurde. 25 Monate späterr trat „Die Rechtschreibreform von 1996“ in Kraft. Schnell machte isch Empörung breit, Unterschriften werden gesammelt, es wurde geklagt und rund hundert Persönlichkeiten der Gesellschaft (darunter Schriftsteller und Wissenschaftler wie Günter Grass, Siegfried Lenz und Martin Walser oder Rockpoeten wie Heinz Rudolf Kunze) forderten einen „Stopp“ … resp. „Stop“ … der Reform und der damals äußerst populäre Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki nannte die Rechtschreibreform gar eine „nationale Katastrophe“.
Die Gegenargumente: Mehr lautorientiertes Schreiben und weniger Kommaregeln sollten es vor allem Kindern leichter machen, „die korrekte Rechtschreibung“ zu erlernen. Doch bereits nach wenigen Jahren, nach den sog. PISA-Tests, war klar, dass immer mehr SchülerInnen nicht nur mit der deutschen Rechtschreibung Schwierigkeiten haben. Im Kontext erreichten jedoch etwa 25 Prozent der Viertklässler nicht den Mindeststandard und noch vor der mittleren Reife oder dem Abitur lässt die Zahl bundesweit noch weiter nach.
Aktuell ist der durch die Reform befürchtete Kulturverfall ganz offensichtlich nicht eingetreten. Gleichwohl halten viele Experten die Annahme, man könne die deutsche Rechtschreibung wesentlich einfacher und logischer gestalten, für eine Illusion. Gleichwohl wird sich die Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum auch in Zukunft stetig weiter entwickeln – dafür sorgt schon der seit 2004 hierfür zuständige „Rat für deutsche Rechtschreibung„.
Geschrieben von Rainer W. Sauer und © 2023 für BRAIN.EVENTS / CBQ Verwaltungstraining